The Real Jurassic World - Saurier ohne Spielberg


Sauropoden wie Seismosaurus könnten die längsten und schwersten Tiere sein, die jemals an Land lebten, mit einem Gewicht von mehr als 50 Tonnen; einige Langhalssaurier hätten ohne weiteres in den dritten Stock eines Hauses blicken können. Ihre Jäger wie Allosaurus waren klein im Vergleich zu diesen Giganten, aber tödliche Feinde mit mehr als zehn Meter Länge und einem Maul voller Steakmesserzähne. (Einige) Dinosaurier erreichten eine riesige Größe, sie waren gefährlich – und sie sind lange tot. Sie sind also der Knochen gewordene Kinderalptraum mit einem Happy Ende.

Nessie im Jura

1877 startete der “Knochenkrieg”: Othniel Charles Marsh und sein Rivale Edward Cope wetteiferten darum, wer mehr Dinosaurier fand und benannte. Ihre paläontologische Arena war die Morrison Formation im Westen der USA. Apatosaurus (Brontosaurus) und Camarasaurus gehörten ebenso zu den Funden wie unbekanntere Langhalssaurier: Atlantosaurus, Amphicoelias und Dytrophaeus.

Marshs Team entdeckte ungefähr 500 neue Spezies von prehistorischen Tieren, Vögel mit Zähnen aus der Kreidezeit ebenso wie Urpferde, dazu einige der bekanntesten Saurier: Stegosaurus, Triceratops und Allosaurus. Marsh and Cope entdeckten zwar viele neue Arten, versagten aber in der akkuraten Beschreibung. Sie waren in Eile, so schnell wie möglich zu publizieren, und oft fehlten sogar die Ilustrationen. Cope veröffentlichte 1400 Artikel und beschrieb allein mehr als 1000 Arten von Wirbellosen.

Marsh gab Kreaturen wie Camarasaurus den Nonsensnamen Sauropoden: Das bedeutet nämlcih Echsenfuß, aber die Füße dieser Langhalssaurier ähnelten wenig heutigen Eidechsen, sondern funktionierten vielmehr wie die Füße von Elefanten.

Charles Knight malte 1897 Brontosaurus als ein amphibisches Monstrum, dessen Körper zu schwer war, um ihn an Land zu tragen, während sich der schlankere Diplodocus an Land herumtrieb. Bilder aus den 1920ern zeigten ebenfalls Sauropoden, die Wasserpflanzen auf dem Grund tiefer See fraßen und ihre Köpfe zum Atmen aus dem Wasser hielten.

Aber dies wurde hart diskutiert. Elmer S. Riggs aus Chicago benannte und beschrieb 1903 Brachiosaurus in Colorado, den damals größten bekannten Dinosaurier. Riggs verglich die Anatomie der Riesen mit Elefanten und schrieb, die Sauropoden seien spezialisiert gewesen, sich auf der Erde zu bewegen. Heute wissen wir, dass er richtig lag.

1905 zeigte das American Museum of Natural History ein rekonstruiertes Brontosaurus-Skelett. Die Beine lagen seitlich am Körper wie bei heutigen Reptilien. Doch heute wissen wir, dass die Dinosaurier ihre Beine unter dem Körper hatten wie Vögel, die von ihnen abstammen. Ein Diplodocus 1909 wurde ebenfalls wie ein gigantischer Leguan präsentiert. Mary Macan malte dann 1910 vier Diplodocidae, als würden sie sich an Land quälen wie ein gestrandeter Wal.

Zdenek Burian veröffentlichte 1941 ein Bild mit einem Brachiosaurus, der seinen Hals als Schnorchel benutzte, während er den schweren Leib im Wasser hielt. Bereits 1951 betonte K.A. Kernack aber, dass der Wasserdruck es unmöglich macht, mit einem so langen Hals zu atmen.

Bis weit in 1980er Jahre glaubten viele Forscher, dass Sauropoden Wasserpflanzen fraßen, und im Wasser wateten wie eine Art Wale mit Beinen. In den 1990er etablierte sich jedoch der Konsens, dass sie auf dem Land und in Herden lebten. Um 2000 zeigten Analysen der Knochenstrukturen, dass Sauropoden rapide wuchsen und ihre Größe ebenso wie ihr Gewicht in zehn Jahren vervielfachten.

Die Entdeckung und Beschreibung von Sauropoden explodierte in den letzten 20 Jahren. Mehr als die Hälfte der Langhalssaurier wurden in den letzten Dekaden benannt. Die größten wurden jetzt ebenso entdeckt wie die Kleinsten. Zwischen 1985 bis 1991 grub David Gilette den bis dato längsten aller Dinosaurier aus – ungefähr 34 bis 36 Meter vom Kopf bis Schwanz. Er war zugleich sehr schwer und stämmig. Gilette nannte den Riesen Seismosaurus, weil seine Schritte die Erde erschütterten wie bei einem Erdbeben.

Die Langhalssaurier waren weit verbreitet, ihre Fossilien finden sich auf allen Kontinenten – außer in der Antarktis (und die ist vielleicht nur noch nicht genug durchsucht).

Die Pflanzenfresser wanderten auf der Erde für rund 100 Millionen Jahre. Das widerspricht dem frühen Bild: Brontosaurus und Brachiosaurus wirkten in den frühen Konstruktionen wie der erste Versuch eines stümpferhaften Gottes oder eine primitive Stufe der Evolution. Auch frühe Darwinisten wie Haeckel gingen davon aus, dass sich das Leben vom Niederen zum Höchsten entwickelt. Jura und Kreide waren in dieser Sichtweise eine dunkle Zeit, aus der sich das Leben langsam empor kämpfte - so wie die Zivilisation aus der Barbarei.

Die ausgestorbenen Dinosaurier galten demnach als primitiver als die Vögel und Säugetiere. Die heutigen Säugergruppen leben jedoch nur einen Bruchteil der Zeit auf der Erde wie die Sauropoden, und die Langhalssaurier waren sehr lange ein Standardwerk der Evolution.

Sie sind zudem für Überraschungen gut. Lange Zeit hielt die Wissenschaft ihre Anmatomie für konservativ: Ein Körperbau wie die Golden Gate Bridge mit den Beinen als Pfeiler, ausbalanciert von Schwanz und Hals, ein winziger Kopf zum Pflanzen abzupfen und ein noch winzigeres Gehirn.

Doch die Riesen spezialisierten sich: Giganten wie Argentinosaurus mit einem Gewicht von vermutlich mehr als fünfzig Tonnen gehörten ebenso dazu wie Zwergriesen; der deutsche Titanosaurier Europasaurus wog 500 Kilogramm, also nicht mehr als eine Kuh. Agustina aus Argentinien hatte Stacheln auf dem Rücken wie ein Stegosaurus; Brachytrachelopan einen “kurzen” Hals, während der Hals von Mamenchisaurus mehr als die Hälfte seiner Körperlänge ausmachte. 2014 wurde Dreadnoughtus schrani (Der Fürchtenichts) rekonstruiert, mit immerhin 70 % seiner Knochen: Er war das schwerste Lebewesen überhaupt, das akurat bestimmt ist: Er wog 60 Tonnen.

Der Zwerg unter den Riesen

Sauropoden mit einem Gewicht von weniger als fünf Tonnen sind sehr selten. Europasaurus holgeri war so ein Zwerg unter Giganten. Holger Lüdtke, ein Hobbyforscher aus Gifhorn in Niedersachsen fand 1998 in einem Steinbruch Langenberg am Harzrand einen Dinosaurierzahn – der erste Beleg für Dinosaurier in dieser Gegend. Die Wissenschaft erkannte, dass es sich um einen Sauropoden handelte.

Der Steinbruch erwies sich als Goldgrube für Paläontologen. Bis heute wurden Knochen von mehr als 20 Langhalssauriern geborgen und bis heute circa 1200 Knochen präpariert. Die neue Spezies erhielt den Namen Europasaurus holgeri, um Lüdtke zu ehren. Die Tiere maßen von 1,70 m bis 6,20 m. Prof. Sander von der Universität Bonn fand heraus, dass die größeren unter den kleinen Sauropoden Alttiere waren. Ihr nächster Verwandter, Camarasaurus erreichte eine Länge von über 20 m und ein vielfaches des Gewichtes.

Die Schädelstücke ermöglichten Serien, die das Wachstum von Babys, Heranwachsenden und Alttieren zeigten. Die Jungtiere haben proportional große Köpfe und Füße, und die Knochen beweisen, dass die Schädel langsamer wuchsen als Rippen und Beine.

Europasaurus ist ein Beispiel für Inselverzwergung. Inseln bieten weniger Nahrung und kleinere Territorien als das Festland und große Tiere müssen sich verkleinern. Das gleiche geschah mit Elefanten auf Inseln wie Zypern und Malta, die nur die Größe von Kälbern erreichten, mit dem Bali-Tiger, der nur so groß war wie ein männlicher Leopard und sogar bei den „Hobbit-Menschen“, einer Zwergform des Homo Erectus auf Flores, der nicht größer wurde als ein sechsjähriges Kind.

Die Region um Bad Rehburg in Niedersachsen war im Jura eine tropische Welt, von einem Meer bedeckt, dessen Inseln weder die Riesen der Riesen wie Seismosaurus noch „mittlere“ Titanen wie Apatosaurus ernähren konnten. Europasaurus wuchs langsamer als seine großen Verwandten wie Camarasaurus - bei ihm kehrte sich das Extremwachstum der Sauropoden um.

Dinosaurier Park Münchehagen

Paläontologen im Dinosaurierpark Münchehagen untersuchen die Knochen von Europasaurus. Alle Fundstücke kommen in diesen Park nahe Hannover. Ein Team des Freilichtmuseums startete die Ausgrabungen unmittelbar, nachdem Lüdtke den Zahn gefunden hatte. Besucher des Dinosaurierparks sehen die gesamte Präparation in einem Schauraum: Vom Präparieren der Felsbrocken mit Knochen bis zu rekonstruierten Skeletten. Bei Europasaurus dauerte es insgesamt sechs Jahre, bis ein solches Skelett präpariert war und ausgestellt werden konnte.

Dinosaurierfährten der frühen Kreidezeit sind in Niedersachsen seit dem 19. Jahrhundert bekannt, das ist in Deutschland einzigartig. Anfang der 1980er machte die örtliche Feuerwehr Löschübungen in einem still gelegten Steinbruch bei Münchehagen. Die Feuerwehrmänner wunderten sich: Das Löschwasser sammelte sich nämlich in „Wannen“, die alle die gleiche Größe hatten. Wissenschaftler erkannten, dass es sich um Saurierspuren solche handelte.

Der Steinbruchbesitzer Ferdinand Wesling einigte sich darauf hin mit den Wissenschaftlern wie den Behörden Niedersachsens, den Steinbruch zu schützen und setzte sich 1993 mit einem Hersteller für Modelle prähistorischer Tiere, Bernd Wolter, zusammen. Die Idee war ebenso einfach wie erfolgreich: Die Spuren interessierten vor allem die Wissenschaft; um jedoch Laien zu begeistern, brauchte es plastische Darstellungen. Ein Zaun wurde gezogen und Modelle hinein gestellt.

Heute ist die Fundstätte das Naturdenkmal „Dinosaurierfährten“, bewahrt mehr als 250 Spuren, und eine Halle schützt die Versteinerungen. 2006 wurden die Saurierfährten als nationales Biotop ausgezeichnet, und im gleichen Jahr wurde das Freilichtmuseum Mitglied der National Geographic Society.

Von Saurierspuren zum prähistorischen Park

Das Freilichtmuseum zeigt heute hunderte Modelle von prähistorischen Tieren. Die Plastiken werden an den neuesten Stand der Forschung angepasst, darunter „Stars“ wie Triceratops, Tyrannosaurus Rex oder Allosaurus ebenso wie wenig bekannte Arten: Euoplocephalus, der „gut gepanzerte Kopf“, dessen Körper ein Hautpanzer aus Knochenplatten bedeckte, und dessen Schwanzkeule dem Raubsaurier Albertosaurus wohl die Beine zerschmetterte - oder Troodon, ein kleiner Läufer mit großem Gehirn, dessen Intelligenz vermutlich der von Raben entsprach.

Das größte Modell im Park und möglicherweise weltweit ist ein Seismosaurus von 45 Metern Länge und einer Höhe von 9 Metern, also weit größer als ein Doppeldecker-Bus.

Die Kreidezeit beeindruckt mit einigen der größten Fleischfresser an Land aller Zeiten: Tyrannosaurus Rex, Giganotosaurus und Spinosaurus sind allesamt in lebensnahen Modellen zu sehen – Giganotosaurus und Tyrannosaurus sogar im direkten Vergleich.

Spinosaurus aegyptiacus war der längste bekannte Theropode. Er maß vermutlich 17 m. Jüngste Forschungen ergaben: Spinosaurus lebte und ernährte sich im Wasser. Seine kegelförmigen Zähne eigneten sich, um Fische zu fangen; seine Nasenlöcher lagen weit oben wie bei einem Krokodil, und er hatte Schwimmhäute an den Füßen. Giganotosaurus wurde etwas länger als Tyrannosaurus, verfügte aber nur über ein Fünftel von dessen Biss-Stärke. Er hielt seine Beute, darunter auch Sauropoden, nicht fest, sondern riss vielmehr Fleischstücke heraus. Tyrannosaurus hingegen verließ sich ausschließlich auf seine Kiefer; er konnte mit einer Kraft von 16000 kg pro Quadratzentimeter zubeißen. Möglicherweise trieben die schnelleren Jungtiere die Beute den Eltern zu, die im Versteck lauerten.

Das “Zeitalter der Säugetiere”, das Tertiär schließt sich an, mit Kreaturen wie Entelodon, einem frühen Verwandten der Schweine, der größer wurde als ein Pferd, Paraceratherium, dem größten Landsäuger aller Zeiten, einem frühen Nashorn, Arsinotherium, einem weitläufigen Verwandten des Elefanten, der aber zwei Hörner über der Nase trug und Megatherium, dem Riesenfaultier.

2014 kam eine der größten Eiszeitsammlungen Europas hinzu mit mehr als 2500 Objekten, darunter ein fast komplettes Skelett eines Wollnashorns und ein Mammut-Stoßzahn mit einer Länge von 4 m.

Das “Museum im Museum” zeigt die Irrwege der Wissenschaftsgeschichte. Unser Verständnis von Dinosauriern änderte sich dramatisch, neue Methodne und neue Funde widerlegten falsche Vorstellungen wie die von Sauropoden, die unter Wasser lebten. Statt Modelle wegzuschmeißen, die auf überkommenen Vorstellungen basierten, präsentiert der Dinosaurierpark sie in einem eigenen Bereich: Tyrannosaurus steht aufrecht, und sein Schwanz schleift auf dem Boden. In Wirklichkeit hielt er den Schwanz waagerecht und den Körper damit in Balance.

Münchehagen nennt sich selbst Dinosaurierpark, ist aber ein prähistorischer Park und informiert über die Naturgeschichte des Lebens von ihren Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit. Das Team des Freilichtmuseums möchte dabei immer wieder auch neue Wege beschreiten. 2015 startet die Sonderausstellung “The Future is wild” , eine wissenschaftliche Vision über die Evolution nach dem Menschen.

Literatur:

Dinosaurierr-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagenn (Hg.). Museumsführer. Regburg-Loccum 2012.

P. Martin Sander; Octávio Mateus; Thomas Laven; Nils Knötschke: Bone histology indicates insular dwarfism in a new Late Jurassic sauropod dinosaur. In: nature04633. Vol 441/8 June 2006.

Michael B. Taylor: Sauropod dinosaur research: a historical review. Geological Society, London, Special Publications 2010.

Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen. S.4.

Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen. S.11-80.

Vgl.: Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen (Hg.): Museumsführer. Rehburg-Loccum 2012. S.97.

Interview mit Armin Schmitt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dinosaurier-Freilichtmuseum Münchehagen im April 2014.

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Historiker, Dozent, Publizist