Der Muttersohn

Xorxoril trat aus der Höhle hinaus. Er hatte Xorgolchoron, die Stadt der Todeselfen, hinter sich gelassen, war durch Tunnel gekrochen und durch unterirdische Flüsse geschwommen, hatte den Grottenspinnen Gift abgezapft und sich vor den Steinsalamandern versteckt.

Der volle Mond beschien das Tal mit Zwielicht und ließ die Elfensiedlung im Wald wie aus Silber gegossen erscheinen. Das Halbblut konnte diesen Nachtfrieden nicht genießen. Dort unten lebte seine leibliche Mutter Iliolin, eine Elfe des Buchenwaldes, die er seit zwölf Wintern nicht mehr gesehen hatte. Seine Zeugung hatte ihn zum Außenseiterdasein verdammt. Die im Tal unten hielten seine elefantenfarbene Haut für verräterisch, die Schwarzelfen misstrauten ihm ebenfalls, egal, was er tat. Xorxoril hatte Menschen und Zwerge gefangen und sie seiner Schöpferin, der Todesmutter geopfert und doch blieb er für die Kinder der Todesmutter der Murdulul, der Mischling.

Xorxoril prüfte seinen Obsidiandolch und schlich durch das Unterholz. Seine graue Haut tarnte ihn perfekt und das Hemd aus Menschenhaut hatte er ebenfalls in den Farben des Mondes gefärbt. Aber auch die Verwandten, die Buchenwandler, wie sie sich nannten, waren Elfen und hatten scharfe Sinne wie er. So beobachtete er jeden Baum, jeden Farn, jeden Weißdornbusch drei Mal und verkleidete sich. Er schlüpfte in eine Robe aus geflochtenen Birkenzweigen und zog die bleiche Haut eines erbeuteten Menschen über das Gesicht. Seine Ohren bestäubte er mit Kalk. Das war nicht genug, er schloss die Augen und murmelte einen Zauberspruch, fühlte, wie sich die rosige Haut über seine eigene legte, seine Haarwurzeln eins mit der Hülle seines Opfers wurden.

Dann aktivierte er sein Quartzamulett, das Auge der Todesmutter. Jetzt konnte er sich wie eine Viper zwischen dem Krokus und dem Bärlauch hindurch winden. Er legte einen Tarnzauber auf seine schwarze Rüstung und seine Waffen, die jetzt den Anschein von Laub und Farngestrüpp erweckten.

Wenn die Elfenwachen auf das Rascheln aufmerksam würden, hörten sie zugleich das Schnaufen und Schmatzen eines Igels. Er hatte keine mächtigen Zauber angewandt, die Wachen waren zwar Elfen wie er, aber der Krieg hatte längst geendet und Xorxoril hoffte auf ihre Unachtsamkeit. Er würde seine Energie später noch brauchen.

Sie standen am Rosensee, drei Buchenwandler, so hießen sie, die Waldelfen, zu denen er einst gehört hatte, mit Langbögen und Jagdschwertern. Die Elfen zuckten tatsächlich, als er sich vorbeischlängelte, beruhigten sich aber binnen eines Augenblicks. Die Waldverwandten schienen sich in Sicherheit zu wiegen, sonst hätten sie einen Magier postiert und dann hätten sie ihn vielleicht gefangen.

Binnen eines weiteren Augenblicks steckten Obsidianpfeile in den Herzen der ersten beiden Waldelfen. Der dritte sprang geschwind hinter einen Holunderbusch, genau in Xorxorils Obsidianklinge, den Ritualdolch, den Fangzahn der Todesmutter, die er der Wache durch das Zwerchfell in die Brust bohrte. Die Größe des Ermordeten entsprach ungefähr der Größe des Eindringlings. Xorxoril zog den Umhang der Leiche über und zog deren Helm in Form einer Tulpenblüte über den Kopf, denn der Zauber würde nicht lange anhalten. Die Anderen zog er hinter den Holunderbusch, nachdem er ihre Herzen aus den Körpern entfernt hatte. Er biss in die Herzen hinein und verschlang von jedem ein Stück roh, dann begrub er sie in der feuchten Erde und betete zu seiner Göttin. Seiner Religion zufolge waren alle Kreaturen entstanden, als Xorgolgorchara, die Eine, die Dämonen der Zeit vor der Zeit besiegt und ihr Blut auf der Erde vergossen hatte. Aus den Blutstropfen waren sie entstanden, die Elfen, die Menschen und die Tiere. Und Blut mussten ihr ihre Diener darbieten, um ihrer Göttin die Ehrerbietung zu zeigen. Denn die Prophezeiung sagte, dass Xorgolgorchara in fünfhundert Wintern auf die Erde kommen und alle Kreaturen verschlingen würde. Wenn ihre Diener ihr heute schon Fleisch- und Blutopfer brachten, konnten sie dem Untergang vielleicht entgehen und würden Geister in der neuen Zeit werden. Xorxoril sang: „Todesmutter, die alles gebiert und alles verschlingt, nimm dieses Opfer in deinen Bauch zurück.“

Der Mörder beendete sein Gebet, dann ging er aufrecht die Straße zum Baumhausdorf der Waldelfen entlang und erreichte die Siedlung ohne Zwischenfälle. Die Silberhunde, die Wachhunde der Waldelfen, knurrten kurz und sprangen dann zu ihm, wollten ihm über das Gesicht lecken. Die Hunde kannten zum Glück die Vorurteile seiner Verwandten nicht, sahen in ihm einen Elfen, keinen Bastard.

Er hielt kurz inne und fühlte sich in die Zeit zurück, als er hier mit Myrilia, seiner Waldschwester, Wildkatzen zur Jagd abgerichtet hatte, vor achtzehn Wintern. „Keine Zeit zu träumen“, murmelte der Rückkehrer und nutzte die Schatten, um zur Trauerweide am Nordufer des Rosensees zu kommen. „Das ist immer noch so schön wie damals“, flüsterte der Elf, während er die spiegelnden Sternbilder im Wasser bewunderte und das wie eine Mistel in die Weidenkrone geflochtene Haus seiner Mutter betrachtete. „Hätte ich nur hier bleiben können“, nuschelte er und eine Träne floss sein durch Zauber verformtes Gesicht hinab. Dann erhob sich seine Stimme wie das Zirpen von Grillen, wie die Töne der Nachtigall; in der Sprache der Waldelfen sang er das Lied von den beiden Libellen, auf denen zwei Elfenkinder in den Himmel ritten. So rein, so klar summte er, dass kein Buchenwandler ihn für jemand aus der Unterwelt hätte halten können; und sein Gesang mischte sich mit dem Buhen der Eulen, die durch die Nacht flogen, den Brunftschreien der Hirsche und dem Schnattern der Wildenten, die sich auf dem See zum Schlafen eingefunden hatten.

Dann öffnete sich eine Luke da oben, ein Mensch hätte wohl nur einen Schatten wahrgenommen, und ein Gesicht erschien, wie das Gesicht einer Frau, aber diese herzförmigen Konturen, diese Mandelaugen in Smaragdgrün, diese Haare wie Saiten einer Harfe, so schön konnte keine Menschenfrau sein und auch die meisten Elfinnen nicht.

„Sisiolili, Morgentau, mein Sohn, bist du es?“ Vor seiner Mutter konnte er sich nicht verkleiden, ob mit oder ohne Zauber, aber dieser alte Name, das war nicht mehr er: „Ja Mutter, ich bin aus dem schwarzen Bauch der Erde zu dir zurückgekommen.“ Die Stimme seiner Mutter klang überrascht: „Ich hatte nicht gehofft, dass wir uns noch einmal wieder sehen. Der Buchenrat hat mir verboten, Kontakt aufzunehmen. Sie bewerten dich als Todeselfen, nicht als einen der ihren.“ „Ich komme von den Todeselfen zu dir, Mutter.“ Iliolin antwortete, ohne zu zögern: „Ja, aber du bist mein Kind, und ich fürchte mich nicht vor meinem eigenen Blut. Das Böse, das du dort gelernt hast, kann gegen die Kraft einer Mutter gegenüber ihrem Sohn nicht ankommen. Ich werde dich heilen, mein Morgentau.“ „Darf ich hereinkommen?“, fragte Xorxoril. „Mein Sohn, mein Haus ist dein Haus, es ist das Haus deiner Familie, deine Schwester hat hier gelebt und dein Bruder Biolgilol Schilfflöte“, empfing ihn seine Mutter.

„Sie sind nicht mehr hier?“, fragte Xorxoril erleichtert. „Nein, mein Morgentau, Myrilia ist als Musikantin an den Hof von König Niogolfin in die geheimen Gärten gezogen und Biolgilol, nun.“ „Was ist mit ihm?“ „Dein Bruder ist tot. Er starb im Krieg gegen die dunkeln Verwandten, bei denen du die letzten Jahre verbracht hast. Sie ketteten ihn an einen Felsen und ließen ihn von den Bestien der Tiefe zerfleischen.“ Xorxoril lächelte. „Krieg ist die normale Beziehung zwischen den Kindern des Waldes und den Kindern Xorgolgorcharas aus dem Bauch der Erde. Ich hoffe, er ist gestorben, ohne herumzujammern“, zischte der Sohn.

Xorxoril dachte an die alten Jahre: Heute vor achtunddreißig Wintern hatten die Todestänzer, wie die dunklen Elfen sich selbst nannten, ihre oberirdischen Gattungsverwandten überfallen und einige von ihnen gemartert. Die Folter war jedoch nicht das Ziel gewesen, der Raubzug diente einem Blutopferritual. Ygorroriul Lavapfeil, Hohepriester der schwarzen Göttin, der alles gebärenden, alles verschlingenden Erdmutter Xorgolgorchara, hatte die schönste Elfe der Waldverwandten geschändet und in einer Obsidiangruft gefangen gehalten. Dort sollte sie ihr Kind zur Welt bringen, ein Kind, in dem die Liebe zum Leben der Waldelfen mit der Mordlust der Todesalben verschmolz. Das Herz des Säuglings hatte der Hohepriester der schwarzen Göttin als Opfer versprochen. Doch Iliolin war entkommen, hatte sich in einer Grotte unter dem Rosensee verborgen und das Kind großgezogen, Morgentau hatte sie es genannt.

„Ich weiß noch, wie Biolgilol mich das erste Mal sah, als ich aus der Grotte hinaus durfte.“ „Ja, mein Morgentau, und er nannte dich Mäuschen, weil deine Haut grau schimmerte wie Mäusefell.“

Xorxoril kletterte das Weidennetz hoch zum Eingang seines Mutterhauses. Sie drückte ihn an ihre Brust. Zwölf Winter waren keine Zeit für eine Elfe und nur ein Sohn konnte die feinen Falten an ihren Augen erkennen, fein wie Spinnweben. Xorxoril blickte sich um. Der Tisch aus Erlenästen, das Bett aus Rosenholz, alles war wie damals. Über dem Bett hing das Bild von ihm und seiner Schwester, das Bild, das Gilgialin Birkenzweig, der Dorfkünstler, damals gemalt hatte. „Kochst du uns einen Krokustee ?“, fragte der Sohn seine Mutter. „Ja, mein Morgentau, du hast ja einen harten Weg hinter dir. Aber sag, warum trägst du die Kleidung der Buchenwächter?“ „Ich habe die Wachen getötet.“ „Mein Sohn, du hast dich mit Blut befleckt. Jetzt kannst du nicht mehr hier bleiben. Du hättest dich doch an ihnen vorbei schleichen können.“ „Ich musste ein Opfer bringen. Ich kann nicht mehr zurück, ich will nicht mehr zurück. Ich diene einer höheren Macht“, dachte sich der Rückkehrer und erkannte an den Iliolins Augen, dass sie seine Gedanken erraten hatte.

Das Baumhaus duftete vom kochenden Krokuswasser, dann trank Xorxoril aus einem Rindenbecher. „Die Zeit bei den Dunkelelfen hat dich verroht, mein Junge. Früher konntest du nicht einmal ein Eichhörnchen umbringen. Du hast nur Früchte und Pflanzen gegessen, weil du kein Tier töten wolltest.“

Xorxoril fixierte seine Mutter mit seinen smaragdfarbenen Augen. Der Blick hätte einen Menschen wohl erzittern lassen, aber nicht Iliolin: „Sie haben andere Sitten dort unten, Mutter. Sie feiern nicht das Leben, denn das Leben ist nur ein Atemzug auf dem Weg in das Reich der Muttergöttin. Sie verehren die Göttin Xorgolgorchara, die Todesmutter, die alles Lebende in sich aufnimmt, nachdem sie es in die Welt hinaus geworfen hat. Nicht Bardensang und Liebesspiel, sondern Krieg und Mord zeigen die Ehrerbietung der Göttin gegenüber.“ Seine Mutter blickte ihrem Sohn entsetzt in das Gesicht: „Das ist ja schrecklich. Warum bloß hat dich damals das Waldvolk diesen Ungeheuern ausgeliefert? Du redest, als wärest du ein Schwarzelf.“ Sie formte ihre Hände zum Halbkreis der Mondsichel und sang das alte Zauberlied, mit dem sie ihre Kinder einst vor den Kreaturen der Nacht, den Blut saugenden Elfenvampiren, den Todesfeen und den lebenden Toten geschützt hatte.

Xorxoril zitterte und umklammerte den Fangzahn der Todesmutter an seinem Gürtel aus Zwergenhaut. Schwarze Strahlen wirbelten vom Dolch seinen Unterarm hoch, legten sich wie ein Netz um seine Brust, stellten sich wie ein Schild aus dunklem Nebel vor sein Gesicht.

„Morgentau, was tust du. Ich schütze dich, du musst keine Wand aufbauen, um deine Mutter abzuwehren. Ich will, dass es dir wieder gut geht. Du musst viel gelitten haben, mein armes Kind. Xorxorils Stimme hinter dem Schleier klang leblos, ohne Emotion, so als hätte Lavagestein zu sprechen begonnen: „Mutter, die Kinder Xorgolgorcharas sind Elfen, so wie ihr.“ Das Gesicht seiner Mutter glühte grün und die Energien des Waldes zentrierten sich in ihr: „Es sind böse Elfen, mein Sohn. Du bist kein Schwarzelf. Sie haben dir das schöne Leben genommen, das du hättest haben können, die Gesänge des Waldes. Sie haben dir das Gefühl genommen, was es bedeutet, ein Elf zu sein, die lieblichste Kreatur, die Cerlihilian, der erste der Götter, geschaffen hat, ein Elf, ein Wesen, geschaffen, um allen lebenden Wesen Freude und Glück zu schenken, ein Wesen, in dem Cerlihilians Reich des Regenbogens schon in der Welt des kreatürlichen Lebens Gestalt annimmt. Cerlihilian ist ein guter Gott, der die Elfen kennt und liebt.“ Von ihren Augen gingen grüne Strahlen aus, Strahlen, die in sich das Leuchten des Mondes auf den Eichenblättern ebenso zu tragen schienen wie das Farnkraut und die satte Farbe der immergrünen Mistelzweige. Wie in einem Kaleidoskop blitzen die Formen von Hyazinthen und Rosen, Krokussen, Lilien und Orchideen, ja von den verschiedensten Blüten des Waldes auf und spielten wie von einer Brise des Sees getragen, um Xorxoril.

Aber es war, als würden sie an einer Wand aus schwarzem Glas aufprallen, ohne eine Öffnung, durch die sie hinein fliegen konnten, um den Körper des Elfen, seine Haut, zu erreichen. Aus Iliolins Augenstrahlen schien sich eine Gestalt zu formen, in gelbgrünem Licht, wie ein Wesen aus der Uferzone des Sees, wenn die ersten Strahlen der Morgensonne die Wasseroberfläche erwärmten. Es ballte sich zusammen wie eine gold glühende Wildkatze, aber mit Schwimmhäuten an den Füßen wie ein Fischotter, das Tier der Wiedergeburt der Waldelfen. Der Schwanz, buschig wie der eines Eichhörnchens schlug hin und her wie der einer gereizten Katze und schien dabei einen Sternenschweif mit sich zu ziehen. Am goldig glitzernden Katzenkopf wuchsen Geweihstangen. Xorxoril schluckte und dachte: „Iliolin hat einen Chililionik beschworen, einen Waldgeist, nicht den mächtigsten, aber der Geist hatte einen Heimvorteil, denn er zog seine Kraft aus der Energie des Waldes. Früher war das mein Schutzgeist, ein Geist der aufgehenden Sonne. Er hat mich vor den Schwarzelfen behütet.“ Xorxoril hatte nur den Dolch, dessen Vulkanglas ihn mit den Dämonen der Erdmutter verband. Doch sie mussten einen weiten Weg zurücklegen und die Waldelfen hatten die Astralwelt ihres Buchendorfes hervorragend gesichert. Geister des Farns, Feenwesen der Weiden, Dryaden und intelligente Baumwesen bemerkten das Eindringen fremder Energien. Geisterhunde in den Morgennebeln, Mondkatzen, deren Blick hypnotisierte und andere Kreaturen des Waldes sorgten dafür, dass die Schwarzelfen den Wald nicht verheerten. Xorxoril war den Wächtern der Haine nicht aufgefallen, denn in ihm pulsierte auch noch das Blut der Buchenelfen, tief verborgen. Und er wusste, was seine Mutter vorhatte. Der Chililionik kämpfte nicht gegen ihn, sondern sollte den Schleier des Bösen von ihm nehmen, der sich wie eine zweite Haut über ihn gelegt hatte. Xorxoril würde die Geister gegeneinander kämpfen lassen, im Ernstfall bevorzugte er einfache Methoden und Zaubern kostete Energie.

Vor dem Chililionik schien die Luft zu brodeln und die Form einer Spinne wie aus Lavaglas bewegte sich lautlos in der Luft, schien ein Netz aus Kristallfäden um Xorxoril zu weben. Einzelne Sternregen prasselten durch die Öffnungen im Netz, aber fielen zu Boden, bevor sie den Körper des heimgekehrten Sohnes erreicht hatten. Die Schwarzglasspinne stürzte sich auf die katzenartige Manifestation. Die wiederum fuhr mit Goldkrallen über den Hinterkörper der Glaskreatur, fauchte und versuchte, sich in den Kopf hinter den Mandibeln der Spinne zu verbeißen.

„Lass die Geistwesen das untereinander regeln“, flüsterte Xorxoril freundlich Iliolin zu. „Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Gut und böse liegt im Auge des Betrachters. Die Dunkelheit hat die Kinder der Todesmutter dunkel werden lassen, Mutter. Sie sind Geschöpfe der Unterwelt, deshalb verhalten sie sich so, wie sie sich verhalten müssen, sie dienen der Göttin, die sie geboren hat.“ „Aber in dir, mein Junge, in dir steckt ein guter Kern. Du bist mein Kind, nicht das Kind dessen, der mich schändete.“

Xorxoril schwieg, sein Leben stellte ihn vor Aufgaben, die seine Mutter nicht erahnen konnte. Dann sagte er ruhig: „Schick bitte den Chililionik in den See zurück. Ich möchte jetzt nicht mit ihm spielen.“ „Ja, mein Morgentau“, antwortete die Waldelfe und schloss die Augen. Der Goldschweif wirbelte im Raum umher, die Katzenform zog sich wie eine in der Luft rotierende Schlange zusammen und zog sich den Baumstamm hinab in die Uferböschung des Sees.

Sie tranken still von dem Krokustee, Iliolin streichelte über seine Maske: „Deine Haut ist nicht mehr grau wie früher und dein Gesicht sieht anders aus.“ Xorxoril senkte den Kopf und hob den Zauber auf. Die Hautmaske fiel vom Gesicht:„Doch, Mutter, ich habe immer noch die Farbe eines Mischlings, aber ich bin es nicht mehr.“ „Nein, mein Sohn, denn du bist zu mir zurückgekommen, in den Wald. Du hast dich entschieden, das Leben eines Elfen zu genießen und deinen Frieden zu finden.“ „Ja, Mutter.“

Iliolins Augen blickten traumtrunken in die leuchtende Iris ihres Sohnes, dann fiel ihr Kopf auf den Tisch. Xorxoril nahm ihr Handgelenk und fühlte den Puls. „Das Spinnengift hat seine Wirkung getan. Dein Herz schlägt nicht mehr. Ich bin nicht hier, um zu kämpfen, ich bin zurückgekommen, um dich zu töten und ich habe es getan.“ Mit schnellen Schnitten seines Obsidiandolchs trennte er Iliolins Kopf vom Körper, dann öffnete er den Brustkorb und entnahm das warme Herz.

Er blickte nach draußen. Die Sonne kroch bereits in die Laubdecke und legte einen Goldschimmer wie ein Mosaik über die Kronen, wie es nur in einem Ort der Waldelfen vorstellbar sein konnte. Xorxoril blickte auf den Morgentau, der sich auf das Gras gelegt hatte: „Keine Zeit mehr, um meiner Kindheit hinter her zutrauern“, hustete der Elf mit Selbstverachtung in der Stimme, steckte den Kopf und das Herz der Frau, die ihn geliebt hatte, in seine Rückentasche. Dann nahm er das Bild von der Wand und fügte es hinzu.

Er ging mit schnellen Schritten, aber ohne zu rennen, durch das Dorf. Die ersten Waldverwandten blickten bereits aus ihren Rindenhütten und winkten ihm zu, ihm zu, ihm, der den Umhang der Wache trug. Dann gelangte er zum Wald, folgte dem Bachlauf entgegen dem Strom, bergauf. Kein Silberhund würde seine Spur finden. Er warf den Umhang in ein Dickicht. Xorxoril rannte die Serpentinen hinauf zu den Granitfelsen, kam zu dem verborgenen Eingang, sprang zwischen den Stalaktiten und Stalagmiten hindurch und sang in der Sprache der Schwarzelfen, ein anderes Lied als das Lied des Waldes. Sein Lied klang wie das Röcheln Verwundeter, wie das Knirschen von Daumenschrauben, wie Peitschenschläge in sonnenlosen Verliesen.

Der Elf kam zum unterirdischen Fluss und dort warteten sie, die Wachen seines Erzeugers, fünf Herzjäger der Unterwelt und zwei Nekromanten, denn die Kinder aus dem Bauch der Erde wiegten sich niemals in Sicherheit. „Warst du erfolgreich?“, fragte ihn der Anführer. „Sonst wäre ich nicht zurückgekommen“, knurrte Xorxoril, dessen grüne Iris schwarz zu leuchten schien. Die Eskorte geleitete ihn zu ihrem Nachen aus Rippenknochen, bespannt mit Zwergenhaut, sie fuhren Stunden um Stunden durch die Dunkelheit, bis sie zum Wasserfall der Höhlen kamen. Die Wachen vertäuten das Boot am Obsidianhafen.

Dann stiegen sie die Felstreppen hinab in die Lavasteinhöhle, zum Tempel der Todesmutter von Xordoron. Zum ersten Mal in seinem Leben durfte Xorxoril die Kultstätte betreten.

Xorgolgorcharas Priester hatten sich um den runden Obsidianaltar versammelt und lauschten stumm den Ritualgesängen ihres Meisters. Er stand in ihrer Mitte, seine Haut glänzte schwarz wie poliertes Ebenholz und seine Haare fielen weiß wie pulverisierte Knochen ab. Xorxoril betrat mit gemessenen Schritten den heiligen Kreis und fiel vor Ygorroriul Lavapfeil auf die Knie, öffnete die Rückentasche und legte dem Hohepriester das Herz und den Kopf zu Füßen. „Nun, mein Sohn, du hast die Prüfung bestanden. Ab heute bist du für uns kein Murdulul mehr, kein Bastard; und wer dich jemals einen Mischling nennt, wird den Tod empfangen. Dieses war dein erster Schritt auf deinem Weg, ein würdiger Nachfolger deines Vaters zu werden, ein Dunkelelf unter Dunkelelfen, ein Geschöpf der Finsternis, dessen Seele so schwarz ist wie die Tränen der Göttin, der du dienst, deiner Todesmutter.“ Xorxorils Augen glänzten und eine Träne floss über seine grauen Wangen. Alle Zweifel, alle Unsicherheiten seines früheren Lebens lösten sich auf. Er hatte die Prüfung bestanden und war aufgenommen in die Priesterschaft der Xorgolchara; er hatte bewiesen, dass er seinen Namen mit Würde trug: Xorxoril, das Blutopfer. Er neigte seinen Kopf vor dem ausdruckslosen Antlitz desjenigen, der einst seine kreatürliche

Mutter geschändet hatte: „Danke, Vater. Ich habe lange gebraucht, aber jetzt bin ich endlich in den Hallen unserer Muttergöttin angekommen.“

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Historiker, Dozent, Publizist