Leseprobe “Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch” - Wolfsmenschen und Werwölfe Erschienen September 2013 bei Cadmos

1.) Wolf und Mensch – Eine alte Geschichte

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland löst heftige Emotionen aus – dabei interessiert die Wiederkehr des Elches oder die Ausbreitung des Bibers kaum jemand. Die einen fürchten um ihre Kinder oder zumindest um ihre Schafe, die anderen begeistern sich für einen Botschafter der Wildnis.

„Der Wolf ist ein Tier, das unserer Vergangenheit angehört“, schrieb der Wolfsforscher Erik Ziemen. Er starb 2003, fast hundert Jahre nach dem Tod des letzten Wolfes in Deutschland, und er konnte nicht wissen, dass heute wieder über sechzig Wölfe bei uns ihre Heimat haben. Die Vergangenheit wird lebendig: Die Bilder vom Wolf sind nämlich in der Kulturgeschichte überliefert – ältere Menschen wuchsen auf mit dem Wolf als Bestie. Das Gegenbild ist eher bei Jüngeren verbreitet: Statt Angst vor dem Waldräuber zeigt sich Begeisterung. Diese „Wolfsfreunde“ sehen im Wolf die Heilung der geschändeten Natur. Wirkliche Erfahrung mit frei lebenden Wölfen hat kaum jemand und trotzdem ist der Wolf niemand gleich gültig. Das kulturelle Gedächtnis schlummert im kollektiven Unbewussten. Geschichte wird Gegenwart; der Wolf kehrt zurück und mit ihm die Irrungen und Wirrungen des europäischen Verhältnisses zur Natur. Die Bilder vom Wolf verraten die Gesellschaft, die diese Bilder produziert. Das Gemälde von Meister Isegrimm droht atavistisch als Ungeheuer im dunklen Wald, es glänzt heroisch als Herrscher über die Beute oder es schillert romantisch als edler Wilder. Realistisch ist es hierzulande jedoch fast nie.

Der „Wolf in uns“ verrät, wie wir die Welt außerhalb und innerhalb des Menschen handhaben; er verrät unsere Furcht, unsere Wünsche und unsere Abgründe. Warum löst aber gerade die Wiederkehr des Wolfes diese Gefühle aus, nicht jedoch die des Seeadlers oder des Schwarzstorchs? Kein Tier steht dem Menschen näher als der Wolf in seiner domestizierten Form Hund. So schreibt Barbara Ehrenreich: „Unsere wichtigsten Jagdlehrer waren wahrscheinlich (…) die in Rudeln vorgehenden Wölfe und wilden Hunde.“ Im Unterschied zu den großen Katzen, den Bären und den anderen großen Beutegreifern schlossen sich die Wölfe zudem den Menschen an. Zugleich blieben sie Gefahr und Konkurrenz für die frühen Jäger. Wie die frühen Menschen jagen auch Wölfe im Sozialverband, und auch im wilden Wolf ist der domestizierte Hund erkennbar – der Hund, den wir als einziges Tier in die menschliche Familie aufgenommen haben. Der Hund und damit der Wolf bricht als einziger die Grenze zwischen uns und den anderen Tieren auf.

Der Wolf ist kein Monster, sondern die Veränderung der Gesellschaften schuf das Bild vom Wolf als Monster. Der Konflikt mit dem Wolf war „hausgemacht“, so Oeser. „Niemanden hasst der Hund so wie den Wolf. Er erinnert ihn an seinen Verrat, sich dem Menschen verkauft zu haben“, schrieb Kurt Tucholsky über den Hass derjenigen, die ihre Freiheit für Bequemlichkeit verraten auf die, die ihre Selbstbestimmung über „Brot und Spiele“ stellen.

„Wir bringen uns in Gefahr, wenn wir zulassen, dass der Wolf stirbt“, schließt Rowlands. Denn wir laufen in die Falle, die uns unser großes Gehirn stellt: „Am Ende werden die Pläne des Affen fruchtlos bleiben. Durch seine Schläue wird er dich betrügen, und sein äffisches Glück wird versiegen.“ Entscheidend ist jenes Ich, das übrig bleibt, wenn das Glück versiegt, so der Philosoph. Da erkannte er nämlich, dass „in einem uralten Teil meiner Seele noch ein Wolf lebt.“

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Historiker, Dozent, Publizist