Fritz Haarmann - Der Werwolf von Hannover / City-Tour

Fritz Haarmann - Der Werwolf von Hannover
Stadtführung von Dr. Utz Anhalt zum Serienmörder Fritz Haarmann.
Jack the Ripper - der Schlitzer - aus London, ist wohl der berühmteste Serienkiller. Fritz Haarmann - der Kehlenbeißer - aus der Altstadt an der Leine wirkt wie sein geistiger Bruder. Beide mordeten im Schatten gutbürgerlicher Heuchelei - im Abgrund der Elendsprostitution, in dem sich die feine Gesellschaft heimlich vergnügte.

Vom Jack the Ripper´s wandern wir über den Flohmarkt, wo Haarmann die Leichen in die Leine warf bis zur Roten Reihe - durch das Jagdrevier des Werwolfs von Hannover. Wer mag, kommt dann mit auf das Rote Sofa im Jack´s.
Vor dem Jack The Rippers´s (Kröpcke / Ecke Georgstraße) circa zwei Stunden

13. November; 19.00

15,00 Euro pro Teilnehmer
Dr. Utz Anhalt ist Historiker und forscht zu Serienmördern

Das fantastische Mittelalter

Sandra Kilb, Leiterin des Fischer- und Webermuseums Steinhude über die Grenzen zwischen Wissenschaft und Rollenspiel

1.) Frau Kilb, sie sind Archäologin, leiten das Fischer- und Webermuseum in Steinhude; außerdem organisieren sie die Convention “Hannover spielt”, kennen also die Szene genau. Wissenschaft, Museum und Rollenspiel, sind das unterschiedliche Paar Schuhe oder gehen die Bereiche ineinander über?

Antwort:

Man muss das alles differenziert betrachten.

“Hannover spielt” gab es ja bereits 16 Jahre, als ich zum Organisationsteam dazustieß, befand sich damals schon im Wandel weg vom reinen Rollenspiel Con hin zum Event mit Brettspielabteilung und Tabletop. Es verändert sich hier einiges, die Grenzen der Genres sind fließend - und genau genommen ist Rollenspiel bereits ein Thema der Kulturgeschichte des Spielens. Zu den Steinhuder Museen gehört ja auch noch das Spielzeugmuseum, also beobachte ich solche Entwicklungen natürlich.

Zur Frage nach Wissenschaft - Museum - Rollenspiel.

Man muss das Wort Rollenspiel hier sehr genau betrachten - was ist damit gemeint?
Die didaktische Methode, durch eine Simulation eine Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Thema zu erreichen? Das gibt es in Museen ja schon lange, fordert vom Museumspädagogen jedoch sehr viel Vorarbeit, die Rahmenbedinungen und Vermittlungsinhalte für das Spiel zu definieren. Dazu ist intensive Recherche und Fachwissen nötig - am Besten auch Erfahrungen in der Theaterpädagogik. Letztlich ist es eine Form von mehr oder weniger freiem Geschichtstheater. So frei es auch ist, es muss dennoch ein Drehbuch geschrieben werden und mit den Vermittlungszielen des Museums generell in Einklang sein.

Die Akteure sind beim Eintritt in das Spiel inhaltliche Laien, und lernen durch die Interaktion. Das funktioniert für die Beteiligten nur, wenn sie eine Neigung für diese sehr extrovertierte Art des Lernens haben und gut moderiert werden. Dann ist die Lernqualität aber weit überdurchschnittlich.

Das, was mit Rollenspiel üblicherweise gemeint wird - Fantasy-Rollenspiele, Pen- und Paper-Rollenspiele, das ist mittlerweile zum Thema der Spielwissenschaft geworden. Immer wieder gibt es an Universitäten Seminare dazu, sei es als Phänomen der Kulturgeschichte, Didaktik, Spieltheorie, und so weiter. Rollenspiel ist bereits in der Wissenschaft angekommen.

Fantasy-Rollenspiele oder LARP als Vermittlungsmedium in einem Museum halte ich für keine gute Idee. Es sei denn, im Rahmenprogramm zu einer entsprechenden Ausstellung.

2) Geschichts-Professoren arbeiten höchst selten mit Mittelalter-Events zusammen. Gibt es da einen Graben der Seriosität oder handelt es sich um universitären Standesdünkel?

Wieviele Universitäten veranstalten Kunsthandwerkermärkte? Ein Mittelalter-Event muss - das ist das Gesetz der Marktwirtschaft - Gewinn erzielen. Der Veranstalter lebt ja schließlich davon, es ist sein Beruf. Eintritte und Standgebühren von Marktständen sind die Basis. Vermutlich schreckt diese Notwendigkeit der Gewinnerzielung Wissenschaftler ab. Dieser Druck sorgt ja auch dafür, dass es auf Mittelalter-Events eben auch mal nicht so genau genommen wird mit der Darstellung historischer Lebenswelten. Es sind merkantile Veranstaltungen.

3) Eine Kritik an der Mittelalter-Szene, also dem, was unter Kelten- wie Wikingerfeste, Ritter- und Burgspiele läuft, lautet: Sie reproduzieren überkommene Geschichtsbilder wie edle Ritter und holde Maiden als Flucht vor einer komplexen Gegenwart, sind also antiwissenschaftlich. Lässt sich das generell sagen?

Die Klischees, die das Publikum mitbringt, sind ein sehr großes Problem für alle, die recherchierte Geschichte(n) vermitteln. Da ist es erst mal egal, ob dies Wissenschaftler oder Darsteller ohne universitären Hintergrund sind.

Wenn auf Mittelalter-Märkten “Kartoffelchips keltischer Art” angeboten werden, ist das inhaltlich extrem kontraproduktiv. Es gibt aber nicht “den Mittelalter-Event”. Es ist eine äußerst heterogene Szene, was Recherchetiefe, Materialwahl oder Qualität der Darstellung betrifft. Manche Darsteller oder Händler werden ja aufgrund ihrer sorgfältigen und reflektierten Arbeit auch von Museen gebucht - und sehen dies als Art Qualitätsbestätigung: “Wir treten auch in Haithabu auf” - wenn ein Wikinger-Reenacter das sagt, dann nicht ohne Stolz.

4) Sie sind als Archäologin sogar noch mehr an materiellen Belegen orientiert als die Historiker, die bereits als “Erbsenzähler” in den Geisteswissenschaften gelten. Wie viel Imagination ist möglich, wie viel ist nötig, um sich überhaupt ein Bild vergangener Geschehnisse machen zu können?

Die Re-Konstruktion von Vergangenheit, mal bewußt in dieser Typografie gesetzt, ist immer eine Annäherung an die Realität. Objektreste kann man im Labor intensiv untersuchen, man kann die Reihenfolge von Abläufen ermitteln, welcher Schritt bei der Herstellung zuerst kam. Wir können Materialzusammensetzungen analysieren. Was man manchmal nicht kann, ist das benutzte Gerät zu benennen. Deduktion grenzt ein - doch dann hilft manchmal nur Ausprobieren. Harm Paulsen hat hier eine Pionierrolle eingenommen. Ich glaube, für die Deduktion, die dem Ausprobieren vorangeht, ist Imagination schon notwendig. Man sollte einen Blick auf heute noch existente Handwerksgeräte haben, auch volkskundliche Gerätschaften kennen, die möglicherweise am langen Ende einer typologischen Reihe stehen, die bis in die Vorgeschichte zurückreicht. Die intrinsischen Informationen archäologischer Objekte sind verloren - sie werden immer abgeleitet. Beispielsweise, ob ein bestimmtes Schwert wohl einen sozialen Status repräsentiert haben mag. Es wird notwendigerweise sehr viel mit Bezügen und Vergleichen gearbeitet.

Im wissenschaftlich-theoretischen Bereich werden übrigens teilweise bereits Methoden der Konfliktsimulation eingesetzt, um historische Kriegs-Ereignisse besser verstehen zu können. Also hat eine kontrollierte Form von Imagination bereits Einzug auch in die Geschichtswissenschaft gehalten.

5) Manche Historiker kritisieren Mittelalter-Spektakel als Freizeit-Event, in dem die Zeichen des eigenen Alltags unsichtbar gemacht werden und damit auch die Plackerei des reale Mittelalters. Dem gegenüber stehen Reenacteure, die bis ins kleinste Detail das vergangene Leben nachspielen, ohne Strom, Wasser etc.. Ist es möglich, sich einer Epoche mit Reenactment anzunähern?

Es kann schon eine Annäherung stattfinden. Den modernen Zeitgeist abschütteln können wir allerdings alle nicht - es bleibt, auch bei größter Sorgfalt, eine Re-Konstruktion von Vergangenheit.

Eine gewisse Gefahr sehe ich übrigens, dass sich manche “an ihren Erfahrungen” festbeissen, und sie als “absolute Erkenntnisse” betrachten. In diesen Fällen würde ein universitärer Hintergrund vielleicht manchmal schon helfen, diese “Erkenntnisse” einzuordnen.

6) Historisches Material determiniert sich nie durch sich selbst, sondern wirkt durch die Deutung der Zeitgenossen - dazu gehört auch die Populärkultur. Bleibt der Wissenschaft anderes übrig, als solche Inszenierungen kritisch zu betrachten oder kann sie sich in die Populärkultur einbringen?

Ein Dialog ist wünschenswert - auf beiden Seiten jedoch noch nicht an der Tagesordnung. Sobald Zielsetzungen auseinander gehen, sind Kompromisse notwendig. Ich sehe da beide Seiten in der Pflicht - auch die Veranstalter. Vielleicht wäre es ein Schritt, den einen oder anderen Händler auf einem Markt schlichtweg auszuschließen. Ich sage nur: Keltische Kartoffelchips. Aber der erhobene Zeigefinger der Historiker ist auch keine Lösung. Man muss schon gleichberechtigt über Zielsetzungen reden, um eine Annäherung zu finden.

Aus dem Universitären Bereich kenne ich da einige gute Vorreiter - beispielsweise das Freiburger Projekt zum Thema Geschichtstheater vor einigen Jahren unter Wolfgang Hochbruck. Er hat da wirklich Grundlagenforschung betrieben.

7) Gibt es eine strikte Grenze zwischen experimenteller Archäologie, living history und reenactment?

Formal betrachtet ist das Definitionssache. 1982 subsumierte Jay Anderson experimentelle Archäologie, Reenactment und vermittlungszentrierte Museumspädagogik im Kostüm unter dem Sammelbegriff Living History. Das ist schwer zu trennen. Häufig sind es ja auch die gleichen Akteure - oder sie verlagern ihren Schwerpunkt vom einen zum anderen. Inhaltlich gibt es natürlich Unterschiede in der Zielsetzung.

8) Die Mittelalterszene ist ein weites Feld: Von Mittelaltermusik, kombiniert mit Heavy Metal über Computer-Spiele wie World of Warcraft, Ritterkämpfe mit Vollkörperkontakt bis zu Tolkien-Conventions. Gibt es da einen roten Faden, und wenn ja, wie richtet der sich aus: Nach historischem Interesse oder als Suche nach einer anderen Wirklichkeit?

Das zu ermitteln, wäre Aufgabe für das Gebiet der Sozialpsychologie. Aus persönlichen, rein subjektiven Betrachtungen, heraus glaube ich, dass sich die Motivation für bestimmte Hobbies, Kleidung, Schminke, Spiele, etc.. je nach Stand der Adoleszenz verändert. Und sicherlich spielt da Eskapismus phasenweise eine Rolle. Aber diese Frage ist nicht schnell zu beantworten. Manch Reenacteur startete als LARPer (LifeActionRolePlayer) und umgekehrt.

9) Geschichtsprofessoren beäugen die Mittelalterszene mit Argwohn, ihre Studierenden treiben sich derweil beim Metstand herum. Vermutlich beginnt die Leidenschaft für Geschichte eher mit Pirat und Ritter spielen als mit der Begeisterung für Stadtarchive. Was war ihr Antrieb, Archäologie zu studieren und im Museum zu arbeiten?

Aus Geschichten. Als kleines Kind war ich fasziniert von Odysseus, es gab so eine wilde Fernsehserie “Unterwegs mit Odysseus”, die liebte ich. Neben den klassischen Sagen des Altertums war noch ein Jugendbuch sehr ausschlaggebend. Wie es heißt, habe ich vergessen, aber es spielte in der Bretagne und im Buch retteten ein paar Kinder einen Menhir vor der Zerstörung durch einen Bauunternehmer. Auf jeden Fall musste ich die Begriffe Menhir und Dolmen recherchieren - und so kams.

10) Sie leiten das Fischer- und Webermuseum und kennen sich mit Rollenspiel aus. Kann Museumspädagogik vom Rollenspiel lernen?

Es gehört - wie eingangs schon gesagt - unbedingt dazu, das Rollenspiel mit den Inhalten des Museums und vor allem dem Vermittlungskonzept des Museums abzustimmen. Aber vom Rollenspiel lernen kann man natürlich schon - beispielsweise über Dialoge statt Monologe (Einbeziehung der Gegenüber), Positionsveränderung, Simulation von fremden Lebenswelten, Selbst- und Fremdbetrachtungen.

Ja, man kann mit Elementen des Rollenspiels Führungen bereichern und lebendiger gestalten. Aber das ist professionell arbeitenden Museumspädagog(inn)en schon lange bekannt.

Wird der Wolf gefährlich? 11 Fragen an die Wolfsforscherin Elli Radinger

Wird der Wolf gefährlich? Interview mit Elli H. Radinger

1) Du hast gerade mit Günther Bloch zusammen ein Buch zu Wolf und Mensch heraus gegeben. Worum geht es in dem Buch?

In unserem Buch „Der Wolf ist zurück. Was mache ich, wenn …“ wollten wir den Menschen, die in Wolfsgebieten leben einen praktischen Ratgeber an die Hand geben, wie sie sich bei einem Treffen mit Wölfen verhalten sollen. Wir haben in letzter Zeit so viel Unsinn über Wölfe gehört von Menschen, die noch nie in ihrem Leben einen wilden Wolf gesehen haben, dass wir uns kurzfristig entschlossen haben, unsere 25jährige Erfahrung mit wild lebenden Wölfen der Panikmache entgegenzusetzen und aufzuklären.

2) Wölfe „begleiten“ eine Frau mit ihren Golden Retrievern, ein anderer Wolf dringt in eine Schafherde ein und ignoriert den Schäfer, die Wölfe des Rudels in Münster zeigen wenig Scheu vor Menschen. Die Diskussion tobt, ob die deutschen Wölfe sich so an Menschen gewöhnt haben, dass sie für uns gefährlich werden könnten. Du studierst seit Jahrzehnten frei lebende Wölfe. Gibt es eine solche Gefahr durch Gewöhnung?

Die lange Antwort auf diese Frage steht in unserem Buch. Ich versuche sie zusammenzufassen:

Es gibt nicht DEN Wolf und nicht DAS Wolfsverhalten. Wölfe haben verschiedene Persönlichkeiten und verhalten sich situationsbedingt unterschiedlich. Manche sind extrem scheu, andere eher forsch und neugierig. Besonders Jungwölfe. In den oberen Fällen waren es stets Jungwölfe, die „auffällig“ geworden sind. Hier muss man jeweils die einzelne Situation berücksichtigen. Wölfe sind extrem anpassungsfähig und können gut in der Nähe von Menschen leben. Dass einzelne Jungwölfe sich neugierig Menschen nähern, bedeutet nicht, dass sie sich an sie gewöhnt haben. Soweit ich weiß, sind die Wölfe schon weitergewandert.

3) Was ist der Unterschied zwischen einem Wolf, der für Menschen gefährlich sein könnte und Wölfen, die aus anderen Gründen in die Nähe des Menschen kommen – zum Beispiel, weil sie unsere Infrastruktur wie Waldwege und Straßen nutzen, oder weil sie neugierig sind?

Für den Wolf als Kulturfolger gehören Straßen und Wege zu seinem Lebensraum. Dass er sie nutzt, ist völlig normal. Es gibt keine Wölfe, die per se für den Menschen gefährlich werden können. Der einzige Fall wäre, wenn Wölfe gefüttert werden.

4) Ich kenne aus den Dokumenten der letzten Jahrhunderte Fälle, wenn auch extrem wenige, in denen frei lebende Wölfe Menschen als Beute töteten. Welche Faktoren müssen dafür zusammen kommen, und wie lässt sich das vermeiden?

In Europa wurden in den letzten 50 Jahren insgesamt 9 Menschen von Wölfen getötet: fünf durch tollwütige Wölfe, die anderen vier in der Nähe einer spanischen Ortschaft, wo die Kaniden angefüttert worden waren. Auch in Nordamerika war stets das Füttern von Wölfen der Hauptgrund von Angriffen.

Das Problem bei historischen Fällen ist, dass man die Tötungen nicht eindeutig Wölfen zuordnen kann. Es könnten genauso gut wilde Hunde oder Wolfsmischlinge gewesen sein. Heute kann man dank genetischer Untersuchungen genauere Feststellungen treffen.

5) Die Regierung in Niedersachsen zum Beispiel hat zwar einen Masterplan der Landesregierung, bei realen oder vermeintlichen Geschehnissen meldet sich dann indessen die Leiterin des Waldkindergartens zu Wort, oder zuständige Kreisjägermeister. Deren Statements sagen viel über ihre Ängste, Interessen und Verantwortlichkeiten - aber so gut wie nichts über den Wolf. Haben wir ein Defizit im Wolfsmanagement?

Wir haben definitiv zu viele Möchtegern-Experten und einen Mangel an echten Experten. Und damit meine ich an Menschen, die WILDE Wölfe über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet haben. In Sachsen klappt das ganz gut. Ich verstehe nicht, warum man sich nicht von der dortigen Regierung beraten lässt. In Niedersachsen werden Menschen als „Berater“ hinzugezogen, die entweder nur Gehegewölfe kennen (die sich anders verhalten als wilde Wölfe) oder überhaupt noch nie einen Wolf in der Wildnis gesehen haben. Und die sorgen dann mit oft unqualifizierten Aussagen beispielsweise zum vermeintlichen „unnatürlichen Verhalten“ des Wolfes für noch mehr Verwirrung und Ängsten unter der Bevölkerung.

6) Das Angst schüren vor dem Wolf entspricht der Hetze gegen Menschengruppen – bis hin zu den angeblichen Schleusern vom NABU, die Wölfe angeblich im Kofferraum aus Polen einschmuggeln. Der Krieg gegen den Wolf beginnt nicht per Zufall in der Zeit der Hexenverfolgung der frühen Neuzeit; auch Hirten landeten damals als Werwölfe auf Scheiterhäufen. Nun haben Mütter wirklich Angst um ihre Kinder, und deshalb lässt sich diese Angst schüren – vor dem fremden Menschen ebenso wie vor dem Wolf. Was lässt sich gegen Hassprediger tun, bevor der Mob sich in Bewegung setzt, um Wölfe zu lynchen?

Ach ja, die „Kofferraumwölfe“ und andere Verschwörungstheorien. Dass Mütter Angst um ihre Kinder haben, ist völlig normal und verständlich. Wäre schlimm, wenn es nicht so wäre.

Was sich gegen Hassprediger tun lässt, ist eine Frage, die seit Hunderten Jahren noch niemand hat beantworten können, weder für die Menschen noch für die Wölfe. Das Einzige, was man meines Erachtens tun kann ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!

7) Ein Argument der Wolfsgegner ist, dass der Wolf nicht in die dicht besiedelte Kulturlandschaft passt. Ist das stichhaltig?

Nein, der Wolf ist ein Kulturfolger und lebt in Europa seit Jahrtausenden mit uns zusammen. Es gibt 400 Wölfe rund um Rom, Wölfe die mitten durch eine rumänische Stadt laufen – und von den Menschen noch nicht einmal als solche anerkannt werden, oder Wolfsmütter, die ganz in der Nähe von Bauern mit ihren Welpen spielen. Niemand regt sich darüber auf. Wölfe brauchen keine Wildnis. Alles, was sie brauchen, ist eine kleine ökologische Nische, wo sie ihren Nachwuchs aufziehen können – und dass sie in Ruhe gelassen werden.

8) In Tansania baden Kinder in Flüssen, die voller Krokodile sind, weil sie wissen, welche Stellen sie meiden müssen. In Deutschland gibt es einen Riesenmarkt für Hundespielzeug, aber seit der Wolf wieder da ist, kursieren die gleichen Fabeln wie vor Jahrhunderten. Brauchen wir eine Wolfserziehung im speziellen und ein Naturerziehung im allgemeinen?

Ich gebe für einen Großteil des momentanen Hype um den Wolf einigen Medien die Schuld, die die Gunst der Stunde nutzen, um Horrormeldungen zu verbreiten und ihre Auflage zu steigern. Sobald der nächste Kampfhund ein Kind gebissen hat, wird der Wolf wieder unwichtiger werden. Ich denke, die momentane Panik wird sich auch wieder legen, wenn die Menschen merken, dass sehr viel mehr Kinder durch das Auto oder den „netten Onkel von nebenan“ getötet werden, als von Wölfen.

Zur Erziehung? Aber JA! Absolut. Natürlich brauchen wir viel mehr Naturerziehung im Allgemeinen. Und dazu gehören selbstverständlich auch Wolf, Luchs, Bär und alle Wildtiere, die sich ihren Lebensraum zurückerobern.

9) Du kennst Wölfe nicht aus dem Fernsehen, aus dem Tierpark oder aus der Fantasie, sondern weißt um ihr Leben in freier Wildbahn. Wie ändert sich das Ökosystem, wenn die Wölfe wieder da sind?

Wölfe bringen das Ökosystem wieder ins Gleichgewicht, indem sie überwiegend alte, schwache und kranke Beutetiere reißen – im Gegensatz zu den Trophäenjägern. Sie sorgen dafür, dass die Wildtiere gesund bleiben und es beispielsweise weniger Verbiss an Bäumen gibt.

10) Manche Medien vermischen, was getrennt gehört: Wölfe, die Schafe reißen; Wölfe im Konflikt mit Hunden; Wölfe, die sich Menschen nähern – und Wölfe, die Menschen gefährlich werden. Welche Konflikte gibt es wirklich mit dem Wolf, und wie lassen sich diese kontrollieren?

Reale oder vermeintliche Konflikte gibt es überall dort, wo sich Wölfe Menschen nähern. Da gilt es zunächst herauszufinden, warum sie das tun. Hierfür brauchen wir echte Experten, die sich im Verhalten WILDER Wölfe auskennen. Dann kann man zur Not entsprechende Maßnahmen (Vergrämung etc.) einleiten.

Echte Konflikte entstehen auch dort, wo Wölfe gelernt haben, dass Schafe oder andere Nutztiere eine leichte Beute sein können. Hier sind die Nutztierhalter gefordert, die spätestens jetzt aufrüsten müssen. Wer seine Schafe schützt z.B. durch Elektrozäune und Herdenschutzhunde, muss den Wolf nicht fürchten.

11) Was können wir vom Wolf lernen?

Wölfe sind intelligente und enorm anpassungsfähige Beutegreifer. Ihr Familienleben, die Fürsorge für den Nachwuchs und für ihre alten und verletzten Familienmitglieder ist vorbildlich. Ich wünsche mir, dass all die Wolfsgegner und die Ängstlichen einmal mit mir ein paar Tage wilde Wölfe in ihrem natürlichen Umfeld beobachten könnten. Das würde vieles ändern.

Feindbild Wolf - Gegen alles Fremde

Die Wolfs-Pegida – Gegen Wölfe und andere Einwanderer                                            

Die gehören nicht in das dicht besiedelte Deutschland“; „die Zahl muss drastisch verringert werden“; „unsere Kinder können nicht mehr aus dem Haus gehen“; „Kuschler schleusen die im Kofferraum über die Grenze“; „ich habe nichts gegen sie, aber…“; „es sind unzivilisierbare Räuber“; „weltfremde Stadtmenschen machen einen Feldversuch, die Menschen vom Land zahlen die Rechnung“; „die Regierung vertuscht den Schaden“; „die fressen alles weg;“ „jetzt müssen wir uns selbst schützen“. Solche Sätze nutzen Rassisten, wenn sie zum Pogrom schüren.

Das Objekt des Hasses sind diesmal jedoch nicht (nur) um Einwanderer auf zwei, sondern auf vier Beinen: Von der Rechtsextremismus-Forschung unbemerkt finden braune Populisten ein neues Feindbild: Den Wolf. Zielgruppe der Hasspropaganda sind Schäfer, Pferdehalter und das Landvolk.

Die FB-Profile der Lautstärksten auf Seiten wie „Wolf-Nein Danke“ ergeben ein klares Bild: Holocaust-Leugnung, die NPD-Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder“, Werbung für Pegida, Hetze gegen Migranten; alles ist dabei, was den braunen Sumpf zum Stinken bringt. Hier muss Öffentlichkeitsarbeit ansetzen, statt über das Stöckchen zu springen und zu glauben, dass es um einen Konflikt zwischen besorgten Nutztierhaltern und Naturnutzern wie Reitern einerseits und Naturschützern andererseits ginge.

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Man-Eater - Das Menschen fressende Tier

Wenn die Bestie den Menschen frisst

Keine Angst des Menschen ist elementarer, als die von einem Tier gefressen zu werden. Aliens von fernen Planeten, Drachen, weiße Haie oder Werwölfe – das Menschen fressende Tier ist das zentrale Motiv des Schauerromans.

Zugleich strahlt der “Menschenfresser” Macht aus, die Menschen zu allen Zeiten bewunderten: Herrscher schmückten sich mit den Fellen von Löwen, Leoparden und Tigern; die Wappen der Ritter zierten Bären, Wölfe und Adler. Heinrich, der Löwe; Richard Löwenherz oder der Wolf von Badenoch, das waren nur einige der unzähligen Namen, die sich Herrscher gaben, um zu zeigen, dass sie in den Kampf zogen wie Raubtiere. Einerseits ist das nichtmenschliche Tier dem menschlichen Tier verwandt (Geschwister), andererseits stehen sie sich fremd und feindlich gegenüber (Gegner).

Von der Beute zum Jäger zu werden, (oder vom Jäger zur Beute), ist heute die Quintessenz des Horrorfilms. Mal handelt es sich um reale und heute lebende Tiere wie ein Leistenkrokodil im Mangrovenwald Australiens in Blackwater, Komodowarane oder den weißen Hai von Spielberg; mal befriedigen Mutationen unsere Sehnsucht, gejagt zu werden: Genmutierte Haie in Deepwater, oder genmutierte Hunde in Wilderness, bizarre Genhybriden in Frankenfish. Ausgestorbene Beutegreifer, die wieder erwachen, versorgen uns ebenfalls mit Nervenkitzel: Dinosaurier in Jurassic Park, Riesenhaie in Megalodon oder Säbelzahntiger.

Unsere Vorfahren trafen vor zehntausenden Jahren auf Beutegreifer, denen gegenüber die heutige Serengeti wie ein Freizeitpark wirkt. Löwen, Tiger und Leoparden, Krokodile, Riesenschlangen und Haie gab es ebenso wie heute - dazu kamen aber Megapredatoren, denen die frühen Menschen wenig entgegen setzen konnten. Die überlegene Technik, nicht Geschick oder Stärke machte uns den Tieren überlegen.

Unsere Angst, und nicht etwa Moral, macht Beutegreifer zu Monstern. Die Evolution kennt keine Moral, und der blauwalgroße Meeressaurier Lipleurodon unterschied sich von einer Amsel, die einen Wurm frisst, nur insofern, dass er an der Spitze der Nahrungskette stand.

Drachen im indischen Ozean

Drachen lebten auf Inseln im indischen Ozean – so erzählten Einheimische europäischen Reisenden. Diese Drachen sollten Büffel ebenso fressen wie Kinder. Die Europäer hielten diese Geschichten für eine Variante von Sindbad, dem Seefahrer, doch dann entdeckte die Wissenschaft den Komodowaran.

Der Komodowaran ist die gewaltigste heute lebende Echse; über drei Meter lang und viel stämmiger als der längere Papua-Waran; mit gespaltener Zunge, und einem Kopf, der an einen Raubsaurier erinnert, steht er in Komodo an der Spitze der Nahrungskette. Er frisst angeschwemmte Kadaver an den Stränden, verschlingt ebenso Ziegen, Rinder und Hirsche. Die Echse greift auch Menschen an.

Seine Methode ist ebenso primitiv wie erfolgreich. Das Maul des Reptils bevölkern giftige Bakterien. Der Waran jagt weder raffiniert noch schnell; doch er muss sein Opfer nicht töten. Ein Biss genügt, und der Drache von Komodo muss nur noch den Kadaver der vergifteten Beute finden. Dabei hilft ihm seine Zunge, die die Witterung an das Jakobsche Organ im Gaumen weiterleitet.

Auf der Insel Flores lebten die “Hobbit-Menschen”, eine Inselform des Homo Erectus, die nur so groß wurde wie ein sechsjähriges Kind. Während die Menschen auf der Insel ebenso schrumpften wie Elefanten, wuchsen die Warane auf eine Größe heran, die die des Drachen von Komodo überstieg. Begegneten sich Zwergmenschen und Riesenechsen, dann kam dies der Begegnung mit einem Drachen nahe.

Wasserdrachen


In China inspirierte der China-Alligator Drachenmythen. Die kleine Art war früher im Osten Chinas in allen großen Wasserflächen weit verbreitet. Drachenmedizin in chinesischen Apotheken entpuppte sich als Alligatorknochen und Alligatorschuppen.

Die Spanier berichteten von Drachen, deren Brüllen unerträglich gewesen sei, und die dicht an dicht in den Sümpfen Floridas lagen. Holzstiche des 16. Jahrhunderts zeigen gewundene schlangenartige Kreaturen mit Greifvogelschnäbeln und Ohren: Es handelte sich um den Mississippi-Alligator.

Der Kurzschnauzenbär

In Nordamerika ging ein monströser Verwandter des heutigen Brillenbären umher; Grizzlys erscheinen ihm gegenüber wie Jungtiere. Dieser Kurzschnauzenbär war groß wie ein Pferd; aufrecht überragte er locker einen Basketballkorb. Damit nicht genug: Selbst im Vergleich zu seiner Größe hatte er enorme Kiefer, mit denen er die Knochen von Mammuts und Mastodonten knackte. Seine riesige Nase ermöglichte es ihm, Beute auf viele Kilometer zu wittern. Die Beine waren länger als die heutiger Bären - der Gigant lief ausdauernd.

Die meisten Paläontologen gehen heute davon aus, dass der Bär sich von Kadavern der heute ausgestorbenen Mammuts, Mastodonten, Steppenbisons und Wildpferde ernährte.

Machte ihn das für unsere Vorfahren ungefährlicher, als wenn er Menschen jagte? Sie waren keineswegs nur Großwildjäger, sondern verzehrten auch Aas. Wenn sie ein totes Mammut entdeckt und Wölfe wie Geier vertrieben hatten, trat jemand auf den Plan, bei dem Flucht die beste, aber oft aussichtslose Verteidigung war.

Ein einzelner Kurzschnauzenbär nahm es locker mit einem Wolfsrudel oder einer Gruppe Säbelzahntiger auf - und auch mit glücklosen Frühmenschen. Jagten die Menschen hingegen selbst, erwartete sie der gleiche Schrecken. Das frische Blut des erlegten Bisons zog den Bären an wie ein Magnet das Eisen. Manche Paläontologen meinen, dass allein der Bär die Besiedlung Amerikas über die Beringstraße um tausend Jahre verzögerte.

Der Grizzly- und der Eisbär lebten damals ebenfalls in Amerika, und auch sie waren für Menschen eben so gefährlich wie heute.

Große Katzen

Der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin spekulierte, dass die Figur des Teufels, - eines durchtriebenen Einzelgängers, der jeden unserer Schritte beobachtet - seinen Ursprung in Menschen fressenden Katzen hat.

In Amerika ging außerdem Smilodon umher, der Säbelzahntiger. Dem Tiger stand er ebensowenig nahe wie Leopard und Löwe, doch er erreichte dessen Größe. Allerdings war er viel schwerer. Seine riesigen Zähne eigneten sich nicht, um Knochen zu zerbeißen. Er schlug sie seinen Opfern anscheinend ins Genick oder in die Kehle; dann riss er den Unterleib auf und verschlang die Innereien. Smilodon war vermutlich ein Schlüssel in der Nahrungskette, denn er hinterließ den Großteil der Kadaver für die anderen Fleisch-, Aas-, und Allesfresser, darunter den Kalifornischen Kondor und seine noch gewaltigeren Vorfahren.

Damit nicht genug, lebten in Amerika auch noch Säbelzahnkatzen. Die waren zierlicher als Smilodon, und ihre Zähne kürzer, aber immer noch länger als die heutiger Großkatzen. Diese Säbelzahnkatzen waren schnelle Jäger.

Löwen, Tiger und Leoparden töten heute noch Menschen. Meist handelt es sich um alte und kranke Tiere, die ihre bevorzugte Beute nicht mehr reißen können. Man-Eater unter den Tigern humpelten, hatten Schusswunden überlebt und diverse andere Behinderungen.

Doch die Tiger der Sundarbans, einem Mangrovendelta am Golf von Bengalen töten jedes Jahr über hundert Menschen. Hier greifen sie den Menschen als Beute an. In den Sundarbans leben über fünfhundert Tiger und damit die größte Population der vom Aussterben bedrohten Katze auf der Welt.

Die Tiger der Sundarbans lernten Menschen nie als Gefahr kennen, im Gegensatz zum “zivilisierten” Indien. Das Delta ist die letzte große Wildnis Südasiens. Holzfäller und Honigsammler, die sich in die Mangroven wagen, sind eine leichte Beute. Nicht der Tiger dringt in die Sphäre des Menschen ein, wie die Katzen, die sich anderswo an das Vieh der Bauern anschleichen, sondern der Mensch betritt das Reich des Tigers.

Rudyard Kipling setzte in seinem Dschungelbuch dem Tiger ein Denkmal als Feind des Menschen. Shir Khan heißt Großkönig Tiger, und der duldet in seinem Dschungel keinen Menschen. Shir Khan ist ein klassischer Man-Eater. Er hinkt, und sein einziger Verbündeter ist der stinkende Schakal. Im Disneyfilm wird Shir Khans Handicap nicht deutlich, doch Kipling setzte den Tiger, der seine natürliche Beute nicht mehr reißen kann, im alternativen Dschungelbuch in Szene. Hier bezwingt Mowgli mit einer Herde Wasserbüffel den behinderten Tiger, der um die Häuser der Menschen schleicht.

Haie

Unsere Faszination für Haie reicht zurück zu jenem Augenblick, als der erste Mensch seinen Zeh ins Wasser steckte und wusste, da draußen ist etwas, das womöglich gefährlich ist. Ich hatte lange keine Ahnung, warum „Jaws“ so erfolgreich war, bis mir das klar wurde. Haie sind die Monster unserer Phantasie, und sie sind real.“ Peter Benchley

Kaum etwas ist unbekannter als das Meer. Der Anthropologe Joseph Campbell erörtert: „Die Volksmythen bevölkern jeden verlassenen Ort mit gefährlichen Wesen. Meeresgrund und fremde Länder geben freien Raum für die Projektion unbewusster Inhalte.“

Diese Projektion sprudelt im Angesicht des größten Fisches, der Großtiere jagt – bis hin zu jungen Grauwalen. Sieben Meter Länge sind für einen weißen Hai möglich. Ein solcher Riese hätte eine Bisskraft von 1,8 Tonnen und damit die größte Bisskraft aller Tiere. Ein spindelförmiger Körper und ein Revolvergebiss aus Sägezähnen formten aus dem „Menschenhai“ einen Superstar der Evolution. Er gehört zu den wenigen Haien, die (wenn auch extrem selten) Menschen töten. Die Menschen der Vergangenheit wussten über sein Verhalten sehr wenig. Verwesende Haikadaver, aus denen das Gebiss heraustrat wie eine Teufelsfratze, Riesen, die Seelöwen zerrissen wie ein Hund ein Kaninchen, tatsächliche Angriffe auf Menschen, sowie sein Element, das Meer, formten den Weißhai zum „Beleg“ für Monstermythen.

Nüchtern betrachtet ist ein Hai kein größeres Monster als eine Meise, die Raupen frisst – er steht jedoch an der Spitze und jagt zudem in einer Welt, in der der Mensch nicht zuhause ist. Elias Canetti schreibt: „Wäre das Meer nicht unerfüllbar, die Masse hätte kein Bild für ihre eigene Unersättlichkeit. (Das Meer) erinnert in seiner Wucht wie seinem Aufbegehren an ein einziges Geschöpf.“ Es „verschlingt“ in Sturmfluten ganze Städte. Der weiße Hai ist das passende Symbol für diese Macht.

Für Kuschelfantasien eignet sich der große Fisch bis heute nicht. Das ist gut so: „Bambi“ schadet Naturschutz ebenso wie der Hass auf Bestien. Der wirkliche weiße Hai lehrt nämlich nicht Panik, sondern Respekt. Peter Benchley schrieb: „Niemand ginge nur mit einem Bikini bekleidet in einen Dschungel. Wir nehmen den Ozean nicht als eine andere Welt wahr und tun so, als wäre das unser privater Swimmingpool. Es ist aber ein völlig separates Ökosystem - voller Tiere, die nur dadurch überleben, dass sie fressen.“ Die Natur ist weder eine Hölle noch ein Disneyland - und nicht der weiße Hai, sondern ein Weltwirtschaftssystem, das die letzten Ressourcen „verschlingt“, bedroht den Menschen und seine Umwelt.

Blutrituale

Warum fasziniert uns das Menschen fressende Tier? Ahlers führt aus: „Am Anfang steht die archaische Urerfahrung, in der das menschliche Tier ein Beutetier für nichtmenschliche Raubtiere ist. Und das hat gesessen, denn diese Urangst der Schutz-, Wehr- und Hilflosigkeit ist so schreckenerregend, so tiefenwirksam und so unverdrängbar gewesen, dass wir Menschen sie in Blutopferritualen bis heute dramatisch aufführen und nachspielen, um den Sieg über die nichtmenschlichen Tiere zu feiern.“

Barbara Ehrenreich zufolge verhalten sich Menschen gegenüber der Eigengruppe in Kriegszeiten in einem Ausmaß solidarisch, wie es im Frieden kaum vorstellbar ist. Sie vermutet in den positiven Gefühlen, die der Krieg auslöst die Verteidigung früher Menschengruppen gegen überlegene und Menschen fressende Tiere.

Der „Sieg“ des menschlichen Tieres forderte jedoch einen hohen Preis, nämlich die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Im Christentum und Abendland wurde das Tier Sinnbild der Unvernunft, des Triebes, des Sinnlichen und Schmutzigen. Die tierischen Impulse galt es abzutöten. Doch das Verdrängte bricht sich Bahn. Heute finden wir das Opfer an die Gottheit in angeblich notwendigen Tiermassakern für die Kosmetikindustrie ebenso wie in Schlachthöfen.

Erstveröffentlichung im Magazin NAUTILUS - Abenteuer & Phantastik, Ausgabe 135, 06/2015, http://www.fantasymagazin.de

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Vom Wolf in uns zum Hauswolf und zurück / Interview mit DogTalking

Vom Wolf in uns zum Hauswolf und zurück

Im Gespräch mit Dr. Utz Anhalt, Wissenschaftler, Mann der Wölfe und Hundemensch

Als DogTalking-Redakteur darf man sich glücklich schätzen; kommt man doch immer wieder in den Genuß, sich hochinteressanten Charakteren, Tier wie Mensch, widmen zu dürfen. Diese Begegnungen dann mit den Lesern, quasi von Hundemensch zu Hundemensch, zu teilen, kann man gern auch als Ehrensache bezeichnen. Insbesondere, wenn man auf Konversationspartner trifft, die wirklich Spannendes und Neues zu erzählen haben und sich unser aller Lieblingsthema “Hund” auf ungewöhnliche, besonders intensive oder vielschichtige Weise nähern, die ausbrechen aus dem ewigen Kanon von Hunde-Lifestyle und -Pädagogik/Verhaltensforschung, dem der meiste Inhalt der Publikationen rund um den Hund zuzuordnen ist.

Dass diese thematische Reduktion/Focussierung dem Hund nicht gerecht wird, braucht nicht näher erklärt werden, denn wir alle wissen: der Hund ist, was wir aus ihm machen. Warum das so ist und wie das alles funktioniert, was das alles das über und für uns Menschen und die Hunde aussagt und bedeuten könnte, wie diese wundersame Beziehung zwischen den Spezies im Kern beschaffen ist, diese Fragen gehen mitunter etwas unter in einer Gesellschaft, in der der Hund nur scheinbar umgeformt wurde vom Nutztier (bleibt er doch in Wirklichkeit stets eines, selbst, wenn man nicht durch ihn Geld verdient) zum Sozialpartner (worst case: der Hund als Kind-/Partnerersatz), Erziehungsthema (der Hund als Versuchsobjekt und Projektionsfläche menschlichen Kontrollwahns und Machtgebaren) und Freizeit-/Hobby-/Sportgerät (der Hund als Erfüllungsgehilfe von Prestigebestreben und Statusgewinn, sei es der Huskys verschleissende Musher oder der jeden ästhetischen Wahnsinn mitgehende “Züchter”, sei es der Vermögen weit jenseits aller Angemessenheit zahlendeRassehundhalter, der den Hund zum Accessoire degradiert, diesen wie Interieur behandelt und entsprechend auswechselt, wenn der Hund “nicht mehr passt”, also der durch ihn generierte emotionale Mehrwert aufgebraucht oder uninteressant geworden ist - manchmal aber ist man auch ganz lapidar überfordert und streckt enttäuscht die Segel, gut, dass nach dem anstrengenden Weimaraner der Mops auf den Hipnessthron gehievt wurde, der kostet zwar aufgrund vermehrter Sollbruchstellendichte eventuell mehr Tierarzt oder stirbt früher weg, aber bleibt bei Verhaltensauffälligkeiten wenigstens “handlebar” und niedlich, ach, schaut mal, wie putzig sich der Kleine wieder aufregt, ja Lord Nelson, du bist n ganz Grosser! Was? Neinnein, der ist gesund, der röchelt immer so doll, wenn er so heftig an der Leine zieht wie jetzt gerade, kriegt man auch nicht aus ihm raus, er ist halt ein kleiner Dickkopf…).

Anders gesagt: Wir haben, mal wieder, ein Stück Natur bis ganz zum Ende durchkultiviert. Da war der Mensch schon immer gandenlos. Was vom Hunde übrig bleibt, ist in etwa mit den geschmacksneutralen, verwässerten Tomatenklonen aus dem Discounter zu vergleichen. So blieben Eigenleben und Einzigartigkeit des zum Attributträger und kulturellen Artefakt transformierten Tieres und dessen Würde leider auf der Strecke. Der Hund spiegelt unser Bedürfnis nach (einer) Natur wieder, die wir ihm kurz zuvor noch nach allen Regeln der Kunst ausgetrieben haben. Nun bejammern wir den Verlust und beginnen, den Hund zu fetischisieren, immer neue Rassen und Typologien, um nicht zu sagen: Darreichungsformen vom Hund müssen her, um z B unser Bedürfnis nach einer Rückverbindung zur (bitte möglichst keimfreien und ungefährlichen) “Natur” (welche Idealismen wir auch immer damit verbinden) zu stillen, also unsere (Sehn-)Sucht nach passenden Objektträgern, denen repräsentativ das gewünschte Attribut ( z B Stärke, Urtümlichkeit, Schärfe usw) anhaftet, zu befriedigen.

Der Hund ist in seiner Produkthaftigkeit, die ihm zwangsläufig in dieser Entwicklungsphase unseres vom herrschenden Wirtschaftsmodell inc all seiner Co-Morbiditäten sozialisierten Kulturkreises stets zu eigen sein wird, immer Trends, Moden, Wahrnehmungsveränderungen, ästhetischen Korrekturmassnahmen unterjocht. Dabei können verschiedenste Kräfte wirken, nicht nur die ausgeklügelter Marketingstrategien, die die künstlichen Bedürfnisse in uns erzeugen, und damit dafür gesorgt haben, dass wir die Sklaverei unseres Konsumentendaseins als Freiheit missdeuten. Als zweite Fessel wurde eine Kultur der Angst implementiert, die alles Fremde, Unkontrollierbare, Unformatierte zur Gefahr für unsere zwar plüschig dekorierte, dadurch aber nicht sinnfreiere, jedoch ziemlich unfreie Existenz deklariert. Und auch in diesem Zusammenhang erscheint der Hund als Manifestation des kläglichen und maroden Zustandes der menschlichen Gesellschaft, die ihn formt. Und so ist es passiert, dass, als er feststellen musste, dass er die ganze Rassehundsache komplett an die Wand gefahren hat, der westlich zivilisierte Mensch den genetischen Resetknopf zu drücken wünscht, Wolfsblut muss her, damit der Hund wieder wirkt, ohne Trauerspiel und real gewordenes Schauermärchen zu sein.

Der Wolf also soll dem Menschen den Hund wiedergeben? Dabei war er doch sonst immer böse und sogar Synonym für unseren ärgsten Feind, dem Menschen selbst, der ja bekanntermaßen der Wolf des Menschen ist. In seiner mythischen Verquickung geht dann bei Vollmond sogar ein von allen Hemmschwellen der Menschlichkeit entfesseltes Ungetüm namens Werwolf auf Menschenjagd, und in manch einem wächst der Wunsch, auch etwas von diesem tödlichen Formwandler in sich zu tragen. Wer den Werwolfmythos als abergläubisches Gewäsch vergangener Zeiten abzutun gedenkt, möge sich auf die Macht der Symbole und Bilder besinnen, die sich zwar in jeweils zeitgemässer Erscheinungsform präsentieren, dabei aber, ob nun Werwolf, Wolfshund oder Wolverine, sehr viel ältere und tiefer verwurzelte Stimmungs-, Emotions- und Selbstwahrnehmungs-Muster in uns evozieren können. Wir Hundemenschen sind also mittendrin! Und erkennen es noch nicht einmal.

Immer wieder finden sich zum Glück Personen, die Augen öffnen, also aufklären und neue Perspektiven und Erkenntnisse auf die Hunde(menschen)welt ermöglichen. Utz Anhalt ist einer dieser Menschen. Sein wahrhaft umfangreiches Wissen, das sich daraus ergebende vielschichtige Bezugssytem, seine interdisziplinäre Herangehensweise, die damit verbundene Bereitschaft zur Metaebene, zur “Vogelperspektive”, die Erkenntnis, dass man als Wissenschaftler ebenso sich selber und die eigene Beziehung zum System zu verorten und bedenken hat, seine Fähigkeit, Wissen und Informationen trotz aller Komplexität in für den Adressaten hervorragend gouttierbare Worte zu fassen und nicht zu Letzt der Umstand, dass es sich bei ihm wirklich um eine (biografisch erklärbare) Herzensangelegenheit handelt, machen ihn zu einem Canidenmenschen der ganz besondereren Art, vermag er es doch, nicht nur mit seinem Wissen sein Gegenüber zu inspirieren und bereichern, sondern auch durch sein Wirken das kollektive Bewusstsein zum Hund zu erweitern und aktiv und konstruktiv mitzugestalten. In diesem Zusammenhang sei ein Einblick in seine beeindruckende Vita erlaubt:

“Zur Person: Historiker / historischer Anthropologe mit Schwerpunkt Mensch-Tier-Verhältnisse, 1999 Magister über den Werwolfmythos, 2007 Dr. phil über “Tiere und Menschen als Exoten in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos”.

Geb.19.3.1971 in Hannover, Studium Geschichte / Politikwissenschaft (historische und soziale Anthropologie) mit Schwerpunkt indianische Kulturen Nordamerikas, soziale Bewegungen, politische Soziologie der Gewalt, Schamanismusforschung, Geschichte von Mensch und Wildtier, Anthropologie von Wolf und Mensch. Seit 2001 Aufklärung über die Rückkehr des Wolfes, Wolfsbotschafter des NABU, Mitglied der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz.

Wissenschaftliche Mitarbeit in Dokumentationen zu Wolf und Mensch für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1. Wissenschaftliche Beratung der Dokumententation “Puppenjungs” über Fritz Haarmann, dazu Stadtführungen und Lesungen. Freiberufliche Tätigkeit für das Überseemuseum Bremen, als Dozent inner- und außerhalb der Uni, Redakteur der Nautilus - Magazin für Abenteuer & Phantastik für Mystery, Dark fantasy und Horror, verantwortlicher Redakteur und Mitherausgeber der Sopos ( www.sopos.org), Ausstellungspädagogik in der NS Gedenkstätte Israelitische Gartenbauschule Ahlem, freie Tätigkeit für GEO, Psychologie heute, Junge Welt, FAS, Karfunkel - Magazin für erlebbare Geschichte, Miroque, Museum aktuell, Zillo Medieval, Taz, Freitag, Neues Deutschland, Psychologie heute, Compact, Die Vögel, Sitz-Platz-Fuß - Das Hundebookazin, WUFF. Außereuropäische Forschungsreisen zum Mensch-Wildtier-Verhältnis, Schamanismusforschung nach Venezuela, Ostafrika, zu Komantschen, Apatschen und Navajos nach USA / Mexiko, Indien und Thailand.

Derzeit: Seminare zum Schreiben über die Natur; Wolf und Mensch; Tiermythen in der NABU Akademie Gut Sunder.”

So viel zum offiziellen Teil. Doch ein guter, erfolgreicher Wissenschaftler, der nicht nur altes Wissen verwaltet und diesen Kanon innerhalb elitaristisch agierender Zirkel umverteilt, sondern auch wirklich neues Wissen schafft und bestenfalls der Allgemeinheit bis hin zur Allgemeingültigkeit zugänglich macht, also eigentlich ähnlichen mentalen und kreativen Arbeitsprozessen folgt, wie sie normalerweise der Berufsgruppe der bildenden Künstler, Musiker, Schriftsteller und Regisseuren zugeschrieben wird, ist meist der, der, hier sei beispielsweise ein Foucault in die Waagschale geworfen, seine Obsessionen oder Passionen zur Profession gemacht hat, meint, seine Berufung zum Beruf, oder, noch profaner: biografisch entsprechend signifikant geprägt wurde. Das einzige wissenschaftliche Selbst, das man hat, ist das subjektive Selbst. Und damit wollen, müssen wir beginnen!

Utz, wie bist du zu dem Thema “Wolf” gekommen?

Du meinst, wie ich zum Thema “Wolf und Mensch” komme? Ich wuchs als Sohn eines Tierarztes und einer Lehrerin auf -in Freiheit- und war von Haustieren umgeben. Vor der Tür begannen die Felder, der Wald, das Moor - und da waren die Wildtiere. Dieser Wald und dieses Moor sind bis heute meine Kraftorte. Meine Eltern ließen mich meine Fantasie frei entfalten, mein Vater rückte sie wissenschaftlich zurecht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Auf dem Dorf gab es damals keine TÜV-geprüften Spielplätze, und wo heute Einfamilienhäuser stehen, erstreckte sich Brachland - und wenn die Sonne unterging, eine schaurig-schöne Romantik. Ich begeisterte mich für unheimliche Geschichten über Mensch und Tier, Blackwood, Bierce, aber auch Poe und Lovecraft. Ich spielte die Geschichten durch, die ich verschlang: Native Americans, europäische Entdecker, Weltenbummler - Alexander von Humboldt und Crazy Horse. Von meinem Großvater erbten wir Brehms Tierleben. Diese Mischung aus Zoologie und Geschichte, Fakten und Fantasie begeisterte mich - in den Naturwissenschaften fehlte mir das mythische Moment, und ich fühlte mich einem indianischen Zugang zur Welt verbunden. Unser Hund begleitete mich dabei, zuerst hatten wie einen Schnauzer-Pudel-Mischling, dann unseren ersten Golden Retriever. Durch die begriff ich, dass zwischen Mensch und Hund ein kommunikativer Raum entsteht. Der wilde Hund, der Wolf, reiste geistig dabei immer mit. Ohne das damals artikulieren zu können, lehnte ich die abendländische Trennung zwischen Mensch und Tier ab und erfuhr schmerzlich, dass das Lernen von Tieren und die Arbeit mit dem Unbewussten als Spinnerei galten. Mensch-Tier-Verhältnisse sind in den Geisteswissenschaften ein Pionierthema, denn westliche Ideologien basieren darauf, dass der Geist den Menschen dimensional von den Tieren trennt, während vielen Zoologen ein interkultureller Zugang fremd ist. Was ich leidvoll als “zwischen allen Stühlen sitzend” erfuhr, erweist sich als wissenschaftliches Neuland - und in meiner Doktorarbeit brachte ich das auf den Begriff. In meinem Buch “Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch”, das im Herbst bei Cadmos erscheint, konnte ich mich endlich “austoben” - also das schreiben, was hinein gehört und so wie es hinein gehört. Bis heute arbeite ich notwendig interdisziplinär - Erkenntnisse zu Mensch-Tier-Verhältnissen sind nicht von Wissenschaftsspießern zu erwarten, die ihre Scholle verteidigen. Kulturelle Offenheit gehört dazu, und die Bereitschaft, sich selbst zu verändern - und da stehen wir, akademisch ausgedrückt, mitten in einem Paradigmenwechsel. Herzlich ausgedrückt, wird Forschung wieder ein Abenteuer, denn Artenschutz und soziale Emanzipation schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.

Was hat es in diesem Zusammenhang mit dem “Abenteuer” Wolf auf sich? Kaum ein Tier beschäftigt so sehr die Gemüter - und das nicht nur aktuell, sondern schon seit langer Zeit.

In der Angst vor dem bösen Wolf zeigt sich die Angst vor dem Raubtier mit den Händen und dem großen Gehirn, die Bestie, vor der wir uns in uns selbst fürchten. Der böse Wolf ist das Symbol für den Abgrund in uns. Der Wolf repräsentiert wie kein anderes Tier die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Kultur und Wildnis, den Konflikt, den der Mensch in sich trägt - der Mensch, der nicht nur Vernunft, sondern auch Trieb, nicht nur Geist, sondern auch Fleisch ist und mit all seiner Intelligenz ebenso sterblich wie alle anderen Lebewesen. Die Mythen vom Wolf ermöglichen es, die Gesellschaften zu verstehen, die diese Mythen schuf. Auch unsere eigene!

Der Hund, unsere Verbindung zur Anderswelt, nämlich den Tieren, ist ein domestizierter Wolf - ein Wesen auf der Schwelle zwischen Mensch und Tier. Der Wolf steht auf der anderen Seite dieser Grenze als sein wilder Zwilling. Die Schwelle der Lebenssphäre bedeutet im Mythos die Schwelle zur Gefahr. Die Welt außerhalb des Stammeskreises zu betreten, machte unsere Vorfahren „frei wie Wölfe“. Jeder Fremde konnte sie töten.

Laut Aristoteles ist der Mensch das politische Tier. Revierverhalten, Hierarchie oder Unterordnung, Sexualverhalten und das Zusammenleben in Gruppen stammen aus der animalischen Herkunft der Gesellschaft des Menschen. Unsere Kultur hat uns von diesen biologischen Imperativen nicht befreit, sondern sie lediglich transformiert. Der Wolf, dem die indianischen Kulturen strategische Intelligenz zusprachen, erinnert uns an die Wirkmacht der natürlichen Gebote. Denken und töten gehört auch für den „menschlichen Wolf“ zusammen.

Der Wolf ist tot – er, der im Rigveda der Tod war, welcher die Sterne auffrisst und mit seinem nachtdunklen Maul die Wachtel, Symbol des Lichts verschlingt. Die Wahnfantasien der Menschen ernähren ihn nicht mehr“, meint Henri Gougeaud. Stimmt das? Sigmund Freud sah Ungeheuer als Projektionen verbotener Aggressionen an, sein Schüler Carl Gustav Jung erkannte darin Archetypen des kollektiven Unbewussten. Der Wolf als Traumfigur lässt sich so als Gier infantiler Neurotiker interpretieren, die den Schatten ihrer Psyche nicht in ihre Entwicklung integriert haben und ihre soziale Umwelt „auffressen“. Warum aber gerade Wölfe im Traumbild, in der Psychoanalyse oder in der Ekstase erscheinen, lässt sich aus der natürlichen Umwelt erklären: Das Bild des Tieres, das Menschen frisst geht einher mit dem Bestreben, von der Beute zum Jäger zu werden. Das verschlingende Maul als Urbild des Horrors, als letztes, was ein Mensch vor seinem Tod sieht, floss in die Mythen ein. Einen Tötungstrieb im Menschen erkennt Baring-Gould im Mythos vom Wolfsmenschen. Der Mensch ist auch ein Raubtier, so der Historiker, und diese Instinkte schlummerten in uns.

Du stellst diesbezüglich Zusammenhänge auf zwischen Wolf, Schamanismus und moderen Diagnostiken wie dem Borderline-Syndrom.

Vorstellungen von Tierverwandlungen haben sehr viel mit psychischen Ausnahmezuständen zu tun. Borderliner, mutiple Persönlichkeiten und Posttraumatisierte dissoziieren, spalten ab, fühlen sich, als ob etwas anderes von ihnen Besitz ergreift, ihre
Körperwahrnehmung verändert sich. Die Reise des Schamanen, der in Form seines
Seelentieres in die unsichtbare Welt reist, muss ihnen niemand erklären - mit dem
Unterschied, dass der Schamane die rationale Kontrolle im Rucksack behält. Borderliner
stoßen oft von selbst auf das psychische Symbol des Werwolfs, weil er ihnen
entspricht.

Doch welche „Raubtierinstinkte“ sind dabei so bedrohlich? Eine entlarvende Antwort gibt Mark Rowlands: „Die Bosheit der menschlichen Affen ist in ihrer Erzeugung von Hilflosigkeit zu finden. Dadurch schaffen menschliche Affen die Möglichkeit ihres eigenen Bösen.“ Das wilde Tier ist das Tier, das den Menschen nicht braucht. Der Mensch braucht seine Kultur; und er züchtete die Tiere daraufhin, sie ebenfalls zu brauchen. „Kinder sind von Natur aus hilflos, doch Hunde sind dazu gemacht worden“, denkt Rowlands. Das Böse des Menschen zeige sich demnach darin, bewusst Schwäche herzustellen: „Wir nehmen Wölfe und machen sie zu Hunden. Wir nehmen Büffel und machen sie zu Kühen. Wir schwächen Dinge, damit wir sie benutzen können.“ Der wilde Wolf jedoch braucht weder den Menschen noch seine Kultur. Das allein macht ihn unheimlich und zugleich zur Figur menschlicher Sehnsucht.

Wie würdest du den aktuellen status quo vom Wolf und seinen hundlichen Ableitungen in unserer Gesellschaft beschreiben?

Hunde sind vom Gebrauchstier zur sozialen Identität geworden. Wir halten Golden Retrierver nicht, um Boote an Land zu ziehen, sondern, weil sie schön und lieb sind und wir jagen mit Rhodesian Ridgebacks keine Löwen, sondern erweitern unser Ego als Sportler. In einer Gesellschaft von orientierungslosen Singles binden wir Hunde in unserer Patchwork ein und suchen uns den “uns entsprechenden Hund” - und wissen dabei immer weniger über sein Verhalten: Eltern finden es normal, wenn ihre Kinder an fremden Hunden herumtatschen, und wenn der Hund gesunde Aggression zeigt, ist er eine Bestie. Das kann zwar gut gehen, ein Labrador apportiert nicht nur Enten, sondern ist ein ausgezeichneter Familienhund. Ein Marremanno aber, der seine Herde hütet, sieht zwar aus wie ein riesiger Golden Retriever, verhält sich aber nicht so, und wenn Menschen in seine Herde eindringen und diesen süßen Hund streicheln, beißt er am Ende zu.

Und beim Wolf? Ich zitiere mich selbst: Die Bilder vom Wolf sind in der Kulturgeschichte überliefert – ältere Menschen wuchsen auf mit dem Wolf als Bestie. Das Gegenbild ist eher bei Jüngeren verbreitet: Statt Angst vor dem Waldräuber zeigt sich Begeisterung. Diese „Wolfsfreunde“ sehen im Wolf die Heilung der geschändeten Natur. Wirkliche Erfahrung mit frei lebenden Wölfen hat kaum jemand und trotzdem ist der Wolf niemand gleich gültig. Das kulturelle Gedächtnis schlummert im kollektiven Unbewussten. Geschichte wird Gegenwart; der Wolf kehrt zurück und mit ihm die Irrungen und Wirrungen des europäischen Verhältnisses zur Natur. Das Gemälde von Meister Isegrimm droht atavistisch als Ungeheuer, es glänzt heroisch als Herrscher über die Beute, und es schillert romantisch als edler Wilder. Realistisch ist es hierzulande jedoch fast nie. Wir Wolfsschützer können an das romantische Bild anknüpfen, weil es zwar verzerrt, aber positiv ist. Dann geht es aber darum, über das wirkliche Verhalten des Wolfes aufzuklären und zu zeigen, wie sich die Konflikte mit ihm lösen lassen. Wenn wir das nicht tun, wird der edle Wilde nämlich ganz schnell zum Ungeheuer, wenn er den ersten Rauhaardackel tötet, der in seinem Revier herumläuft.

Bemerkenswert finde ich ja den immer wiederkehrenden Gegensatz “Domestiktion/Schwäche herstellen/fortwährende Denaturalisierung des Objekts” auf der einen Seite, dem gegenüber steht eine Mystifizierung und kultische Überhöhung, der Hype, z B via Werwolfmotiven in Filmen, aber auch durch verklärend-idealisierende Romantizismen z B in der Tierschutzszene oder in spirituellen Strömungen. Bezeichnend für das Auseinanderdriften der Bezüglichkeiten des im Postkapitalismus orientierungslos darbenden Menschen, der, statt im Diskurs ethische Werte und Umgangsformen zu entwickeln, nur noch auf plakative, egozentrierte Inszenierungen seiner Person und “Mag ich/Mag ich nicht”-Bewertungssysteme reduziert, um nicht zu sagen: dazu verdammt ist - wobei das Abbild der Wirklichkeit dazu noch sträflich vereinfacht wird. Ausdruck eines kollektiven Borderline-Systemabsturzes der Gesellschaft?

Wir leben nicht im Postkapitalismus, sondern im sich selbst fressenden Spätkapitalismus: Die Menschen sind gezwungen, sich immer wieder neu zu prostituieren, ihre Identität „marktgerecht“ auszutauschen; soziale Bindungen zerbrechen – innere Leere und Unsicherheit sind die Folge. Borderliner, also Menschen mit einem zersplitterten Selbst, sind die psychische Störung unserer Zeit. Darum ist die Sehnsucht nach vermeintlicher Natürlichkeit groß: Mittelaltermärkte imaginieren eine überschaubare Welt. Naturnahe Hunde dienen ebenso dazu, die Entfremdung aufzubrechen. Nur sind diese Tiere keine Fantasy und Haltungsfehler vorprogrammiert – während der der richtige Umgang irritiert: Bei einem Bekannten von mir stand der Tierschutzverein vor der Tür, weil Anwohner Alarm schlugen, dass seine Hunde verwahrlosen. Die „armen Hunde“, zwei Kangals, leben nämlich (genau richtig) auf einem (sehr) großen Grundstück mit Hütte das ganze Jahr draußen.

Zum Umgang mit dem Wolfshype: Den begrüße ich prinzipiell, denn die Begeisterung kann ein reflektiertes Miteinander eröffnen. Wir „Wolfsleute“ profitieren für unsere Bildungsarbeit von zwölf Jahren Erfahrung in der Lausitz, und sind in den westlichen Bundesländern somit gut auf den Wolf vorbereitet – wir haben erfolgreiche Modelle für Herdenschutz, den Umgang mit Ängsten und Angstmachern, bevor sich Wölfe fest ansiedeln.

Richtiger Umgang mit dem Hype heißt erstens Aufklärung und zweites Schulung, dann verlieren die Angstmacher, die ihren Rassismus auf den Wolf projizieren, den Boden unter den Füßen. Erstens also Aufklärung darüber, warum die Bilder vom Wolf viel über uns aussagen und kaum über den Wolf und zweitens den Wind aus den Segeln nehmen, also die Konflikte benennen und Lösungen zeigen. Drittens sollten wir mit dem Wolf einen Pflock einschlagen für eine fortschrittliche Politik, die Natur und Kultur zusammen denkt: Der deutsche Naturschutz krankte an einer christlichen Apokalyptik, einer Schuld und Sühne Hybris und dem damit verbundenen Schutz „unberührter Paradiese“. Dieses falsche Bewusstsein führte zum Niedergang vieler Tierarten, vor allem Reptilien und Amphibien, die in den „Wunden der Landschaft“, also unbegrünten Autobahnhängen oder Bergbaugruben ihren Lebensraum fanden. Unberührte Wildnis gibt es in Mitteleuropa nicht; der Wolf ist hingegen das Paradebeispiel dafür, dass auch große Beutegreifer in einer Kulturlandschaft gedeihen: Naturkorridoren gehört die Zukunft – Großstädte bieten ein riesiges Potenzial für Biotope auf Häuserdächern, durch Guerilla Gardening etc.

Ich bringe mich über den Wolf ein, wo es nur geht, zum Beispiel bei Schulungen und Lehrerfortbildungen, denn 15jährige Wolfsbegeisterte, die das Know-How lernen, sind in zehn Jahren, wenn wir eine stabile Wolfspopulation haben, die Fachleute, die wir brauchen. Leider ist es beim Wolf ebenso wie sonst in der Bürokratie auch: Diejenigen, die seit das erste Rudel kam Erfahrung im Wolfsschutz sammelten, werden viel zuwenig in die staatlichen Bildungskonzepte einbezogen. Gerade flatterte mir eine pädagogische Broschüre zu, in der ein Tundrawolf Kindern vermittelt, wie wichtig es ist, die Wälder zu schützen. In der Tundra gibt es keine Wälder, und der Wolf war ein Opfer menschlicher Ausrottung und nicht des Verlustes von Lebensraum. Solche Fehler lassen sich vermeiden, wenn diejenigen, die zum Wolf arbeiten, über ihn aufklären.

In dem Zusammenhang: es wird derzeit viel über den Einsatz von Herdenschutzhunden in unseren Breitengraden nachgedacht. Inwieweit hälst Du dies hierzulande für sinnvoll? Sind die Flächen dafür nicht zu klein?

Herdenschutzhunde sind die beste Möglichkeit, verbunden mit Zäunen, um Schafsrisse durch Wölfe zu minimieren. Wölfe erbeuten, was sie am einfachsten kriegen und in ihr Beuteschema passt, hier sind das zumeist Rehe – angepflockte Schafe ohne Schutz sind aber ein gefundenes Fressen. In Deutschland werden Maremmanos und Pyrenäen-Herdenschutzhunde eingesetzt, da die menschenfreundlich sind. Ebenso wie das harte Leben der Schäfer mit einer Hermann Löns Idylle nichts zu tun hatte, arbeiten Hunde in Herden jedoch nicht in Disneyland, sondern im professionellen Weideland der Hirten. „(Sie) nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Das müssen auch Wanderer und Biker respektieren“, erörtert die Zeitung „Schweizer Bauer“. Touristen und Natursportler haben die Regeln im Schafland einzuhalten, so wie ich nicht auf der Autobahn rückwärts fahre.

Eine systematische Ausbildung von „touristenfreundlichen“ Hunden könnte in Deutschland solche Probleme mindern. Dazu gehört auch Schulung der Schäfer. Schlecht gehaltene und missbrauchte Hunde können für Menschen zur Gefahr werden; was für alle Hunde gilt, gilt besonders für die großen und starken Schafschützer. Reinhard Schnidrig vom Schweizer Bundesamt für Umwelt sagt: „Ohne Herdenschutz geht das Zusammenleben mit Wölfen und Bären nicht.“ Recht hat er. Ohne Aufklärung geht das Zusammenleben von Touristen und Hirtenhunden nicht, ließe sich ergänzen.

In der Lausitz bewährt sich eine mobile Einsatztruppe. Von Wölfen bedrohte Viehhalter können zwei Pyrenäenberghunde, Ben und Carlos, und ihren Ausbilder, Frank Neumann, anfordern, um die Herden zu schützen. Seit die Wölfe 2001 nach Deutschland zurückkehrten, leiteten Naturschützer und Behörden ein Wolfsmanagement ein.

Der Verein Naturpark Lüneburger Heide lehnt Herdenschutzhunde jedoch ab. Die Beißunfälle in Frankreich seien zu viele und schlechte Presse könne sich die Touristenregion nicht leisten. Schafzüchter werfen zudem ein, dass die Heidschnucken tagsüber vom Hirten betreut werden und nachts im Stall schlafen. Sie bewerten deshalb das Risiko von Wolfsangriffen als minimal.

Trotz aller Aufklärung steigt das Interesse an Wolfs-Hybriden und in der Folge an totgeglaubte Versuchsanordnungen wie den Tschech. Wolfshund, der gerade sein, entschuldige diesen Begriff aus dem Marketing,”Comeback” erfährt. Zwar komplett domestiziert und weitestgehend”entwolft”, haben sie für ein bestimmtes Segment der Halter, so zumindest nehme ich es wahr, definitiv die Funktion, für ihren Besitzer Stärke,
Naturverbundenheit/Archaik, Gefährlichkeit usw zu attributieren… bleiben
diese Hunde also im weitesten Sinne narzisstische Erweiterungen? Sind sie
Instrumentarium/Medium für eine der Zeit angepassten Variante von
lykanthropischem Denken? An dieser Stelle muss man sich ja grundsätzlich die Frage stellen, inwieweit Hunde für bestimmte Personengruppen Erfüllungsgehilfen dieser Selbstaufwerungs- und Abgrenzungsmechanismen sind, sei es der Kangalhype oder der Kult um andere Herdenschutzhunde, natürlich die nicht nur in all den Halb- und Unterwelten, sondern auch in bürgerlichen Kontexten geschätzten Pitbullvarietäten, dazu international hoch gehandelte Molossoide wie der Fila Brasiliero, der derzeitige “Drogenbaronliebling” und immer neue zu diesem Zweck designte, auf den Markt drängende, zum Glück meist sehr kurzlebige”Kunstrassen” (wenn diese Begrifflichkeit mal nicht pleonastisch angehaucht ist), deren Zucht zum Glück meist schon wieder versandet ist, bevor der Antrag auf Aufnahme ins Lukrativität generierende Rasseregister überhaupt beim FCI o ä im Briefkasten gelandet ist. In dieser Tradition wähne ich auch frühere “Grenzwächter” wie den Dobermann und den Deutschen Schäferhund, den z B von Horst Stern so trefflich sprachlich fixierten “Reissern am Strick” der Siebziger Jahre, die, auf piefigen, zwischen Fabrik und Schrebergarten gelegenen Hundeplätzen mit deutscher Gründlichkeit ordnungsgemäß nach “Rassestandard” auf Mißtrauen gegen Fremde, also “Fremdenfeindlichkeit” gedrillt, den damaligen “Gastarbeitern” und ihren Familien jegliche Möglichkeit zur Annäherung an des Deutschen liebsten Kind, den Hund, (und damit an den Halter selbst!) im Keim erstickten.

Zur Hybridenszene: Ich denke nicht, dass es eine regelrechte Hybridenszene gibt – für privat gekreuzte Wolfshybriden bräuchte man einen Wolf, und den zu bekommen, ist in Deutschland legal nicht möglich und illegal extrem schwer. Hybrid bedeutet also meist tschechoslowakischer Wolfshund. Der ist aber, Gott sei Dank, kein 50% Mischling, sondern eine klar umrissene Rasse; vor allem ein Hund, in den vor 30 Jahren das letzte Mal ein Wolf eingekreuzt wurde – er wurde nicht von Wolfsromantikern gezüchtet, sondern als Gebrauchshund zum Sichern der Grenze in Ostblockzeiten. Er ist ein sicherer Fährtenleser, sehr ausdauernd und sehr intelligent. Seine Ausbildung ist genau deshalb schwieriger als bei „klassischen“ Diensthunden, denn, wenn er seine Fähigkeiten nicht umsetzt, wird er unleidlich. Das führte, zum Glück möchte ich sagen, dazu, dass es bisher wenig Dumping-Zuchten gibt: Der für Großstädte gezüchtete Pitbull lässt sich ohne Probleme von großstädtischen Kriminellen züchten, der Wolfshund nicht.

Ob es sinnvoll ist, ihn zu halten? Ja, es sind tolle und „naturnahe“ Hunde, keine Krüppelzüchtungen wie Möpse. Es gilt das gleiche wie bei anderen „wolfsähnlichen“ Hunden, zum Beispiel Schlittenhunden: Kynologische Erfahrung, ein Beruf und – vor allem eine Lebensstruktur - die dem Wolfshund Zeit und Raum bietet, dazu Agility-Training. Ich selbst mag diese Hunde sehr gerne, habe mich aber auch bei einem wundervollen Husky-Rüden dagegen entschieden, ihn in meiner Stadtwohnung zu halten. Stattdessen teile ich die mit einer Kartäuser-Katze.

Der tschechische Wolfshund wurde ursprünglich als Arbeitshund gezüchtet, heute kommt er aber in Mode, weil er so aussieht wie ein Wolf - klar ist das lykanthropisches Denken, nur kreist es um die eigene Identität und verzerrt den wirklichen Wolf(hund). Ich denke, bei dieser Mode spielt weniger Machismo eine Rolle als das romantische Wolfsbild, eben Naturverbundenheit und Archaik.

Auch dieses exotistische Bild vom Wolf führt beim Wolfshund zu Problemen, denn diese Hunde sind nichts für Anfänger. Sie verhalten sich ausgesprochen “wölfisch”: Sie haben ihren eigenen Kopf, erkennen Spannungen in ihrem Menschenrudel und sichern sich ihre Stellung darin, sie lernen, wenn sie es für sinnvoll ansehen, sind also weniger welpenhaft als andere Hunde. Auf Strafen reagieren sie sehr sensibel, ziehen sich zurück und wehren sich, wenn sie schlecht behandelt werden. Der Wolfshund hat einen starken Jagdtrieb und braucht Bewegung.

Als narzisstische Erweiterung für autoritäre Charaktere ist er denkbar ungeeignet. Ihn zu einem willenlosen Beißwerkzeug zu machen wie den deutschen Schäferhund der Nazis gelingt nicht - menschenscheue Verhaltenskrüppel wären die Folge der traditionellen Schäferhundabrichtung. In den Niederlanden war es Mode bei Gewaltkriminellen, Wölfe zu halten: Die Notstationen quollen bald über, denn die Tiere verhielten sich wie Wölfe. Sie wurden keine Bestien auf Befehl, sondern versteckten sich und waren in den Augen der Abrichter “feige”. Beim Kangal kann die narzisstische Erweiterung gefährlich werden: Kangals sind Herdenschützer. Sie schützen eigenständig das Vieh vor Wölfen, Bären und menschlichen Räubern, und sie selbst entscheiden, wann jemand eine Bedrohung darstellt. Sie brauchen viel Raum und eine sensible Erziehung, dann können sie zu wunderbaren Gefährten werden. Derzeit ist der Kangal ein Statussymbol bei jungen nationalistischen Türken, um ihre Männlichkeit zu beweisen; in Hannover hielt einer sechs scharfe Kangals in einem Hinterhof - unter erbärmlichen Bedingungen. Ein Hund mit dieser Stärke, Eigensinn und Schutztrieb wird bei solcher seelischer Vergewaltigung zu einer unkontrollierbaren Waffe. Beim Fila Brasileiro gilt das nicht minder; der wurde für Sklavenjagden gezüchtet und selbst erfahrene Halter sollten im Umgang mit Kindern vorsichtig sein. Generell ist aber nie die Rasse, sondern der Halter das Problem. Beim Pitbull kommt dazu, dass er, wie alle Terrier, nicht ablässt, wenn er an der Beute dran ist und dazu eine große Biss-Stärke hat. Allerdings: Ein Bekannter von mir arbeitete auf dem Höhepunkt der “Kampfhunde”-Hysterie im Tierheim und war stinksauer auf die Medien. Sein Tierheim quoll über vor Pitbulls, genau denen, die mit kupierten Ohren und geöffnetem Maul in der Schmierpresse zu sehen waren. Er sagte: “Neun von zehn Pitbulls geben die Zuhälter hier ab, weil sie die Performance nicht bestanden haben.” Die angeblichen Bestien kamen ins Tierheim, weil es nicht gelang, sie auf Menschen abzurichten.

Durch den Mißbrauch dieser Hunde wurde unsere Gesellschaft offenbar noch tiefer in canidophile und canidophobe Lager gespalten. Gibt es auch lykophile und lykophobe Entwicklungsstränge in Gesellschaften? Warum wird in einer Region der Wolf gejagt, in der nächsten wird ihm gehuldigt?

Das Bild vom Wolf war in allen Gesellschaften zweiseitig, auch bei denen, die ihn verehrten. Denn der Wolf, und später der Hund, kooperierten mit dem Menschen, der Mensch profitierte von seiner Beute - er konnte den Menschen aber auch töten. Die Bilder vom Wolf änderten sich mit der Lebensweise: Für die frühen Jäger war er ihr erster Lehrer, für die Viehzüchter aber der Räuber der Herden. Hirten sahen den Wolf als Feind - das ist für uns extrem wichtig, weil das Christentum eine Religion von Wüstenhirten ist. Gott ist der Hirte, Jesus das Opferlamm, und der Wolf ist der Teufel. Dieses Denken ist im Abendland tief verwurzelt. Nordamerikanische Kulturen domestizierten hingegen außer dem Hund nur den Truthahn, diese Maisbauern, Fischer und Jäger standen also nicht im Konflikt um ihre Schafe und Ziegen, sondern verehrten die sozialen Fähigkeiten von Canis Lupus. Als die Navajos Schafe züchteten, wurden sie folgerichtig zu Wolfshassern.

Der Wolf ist vor allem eine Projektionsfläche, und das Feindbild Wolf dient dem gleichen Zweck wie rassistische und faschistische Stereotypen von Menschengruppen: Angst zu erzeugen und sich den Angsthabern gleichzeitig als deren Überwinder zu präsentieren, war nämlich seit jeher das Geheimnis der Herrschaft. „Lieber ließe der Angsthaber alles und jeden zum Teufel gehen, bevor er es wagte, die Ursache seiner Angst in sich selbst statt in den anderen zu suchen“, so Kay Sokolowsky. Tiermenschliche Fantasieungeheuer – Männer, die als Werwölfe auf den Scheiterhäufen brannten - boten dem Pöbel einen jämmerlichen Ersatz dafür, die sozialen Verhältnisse zu ändern. Gefährlich ist der Wolf in unserem Unbewussten und wir werden durch die dort schlummernden Schreckensbilder zur Gefahr für den Wolf. Wolf und Mensch können Seite an Seite leben, wenn wir es zulassen.

Aber wie soll der Mensch einen gesunden Umgang mit dem Wolf finden, wenn es aufgrund von Entfremdung und Hyperkultivierung vermehrt zwischen Hund und Mensch kriselt? Kann es sie überhaupt (noch) geben, die ideale Welt für Mensch und Hund?

Bei einem idealen Verhältnis von Mensch und Hund wird meist die Gesellschaft vergessen; Mensch-Tier-Verhältnisse sind Herrschaftsverhältnisse und unsere Begriffe davon getränkt. Eine ideale Welt für Mensch und Hund gibt es nicht: die menschlichen Individuen sind ebenso unterschiedlich wie die einzelnen Hunde. Es wird immer Menschen geben, die Hunde nicht mögen. Ein Fortschritt wäre es, wenn sich Mensch und Hund in ihren Fähigkeiten entfalten – Hunde gehen mit uns eine Bindung ein, die erst mit dem Tod endet. Das setzt aber für Menschen ein würdiges Leben voraus, Sicherheit der Arbeit, Sicherheit der Wohnung, Freiheit von Ausbeutung und Freiraum für soziale Beziehungen; die heutige Situation ist das Gegenteil – ein Hund ist wie ein Kind ein Karriereproblem. Für die Hunde wäre es ein erster Schritt, Räume zu schaffen, in denen sie Hund sein können – ähnlich wie FKK-Strände, also Parks, wo ein Hund, der auf ein Kind zuläuft, nicht die Polizei auf den Plan ruft. Vielleicht auch subventionierte Hundehöfe analog zu Kindergärten, wo Berufstätige ihre Hunde unterbringen statt sie abgeben zu müssen. Dagegen steht, dass Hunde zu halten, eine Privatsache ist – das ist Kinder kriegen aber auch, und Hunde gehören zur Familie. Öffentliche Schulen für Hunde? Warum nicht?

Workshop Antisemitismus

Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart

In diesem Workshop behandeln wir die Geschichte und Gegenwart der Judenfeindschaft im engen Sinn und im weiteren Sinn der Feindschaft gegen Semiten im „Abendland“ – insbesondere in Deutschland.

Antisemitismus: Der jüdische Deutsche Moritz Steinschneider benutzt 1853 als erster den Begriff „antisemitisches Vorurteil“ gegen Ernest Renan, der den Monotheismus als Fantasie von Wüstenvölkern erklärt.

Die Juden im „christlichen Abendland“ waren eine ungeliebte Minderheit, in toleranteren Zeiten Menschen zweiter Klasse. Mit dem „Judenhammer“ erschien im Mittelalter ein Gesetzeswerk, das die Juden als mit dem Teufel verbunden stigmatisierte und Strafen für ihre „Religionsverbrechen“ vorgab. Antijudaismus, der die Juden aus religiösen Gründen ablehnte, verschmolz mit dem rassistischen Antisemitismus, in dem die Juden zu einer anderen Rasse von Menschen gehörten. Der Antisemitismus entfesselte sich nach dem ersten Weltkrieg. Als das Kaiserreich zerbrach, gaben Antisemiten den Juden dafür die Schuld und nährten die spätere Vernichtung durch die Nationalsozialisten – Wagners Kunst wurde zu Hitlers Holocaust; und der Antisemitismus wurde Motor für das größte Verbrechen der Geschichte.

Antisemitismus ist nicht einfach nur Rassismus, der Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Kultur abwertet.

Programm:

1) Brainstorm. Was fällt euch beim Begriff Semiten ein, was beim Begriff Juden?

Methode: Offene Runde. Wir sammeln die Begriffe, schreiben sie an die Tafel und diskutieren darüber.

2) Antisemitismus im Alltag. Habt ihr antijüdische Aktionen erlebt? Wenn ja, welche?

Was lässt sich dagegen tun?

Methode: Offene Runde. Wir sammeln die Begriffe, schreiben sie an die Tafel und diskutieren darüber.

3) Vortrag: Geschichte der Judenfeindschaft, Antijudaismus und Antisemitismus bis 1945.

Methode: Vortrag, Handout und Diskussion.

-Christliches Märchen von den Gottesmördern

- Die „Brunnenvergifter“ im Mittelalter

- Martin Luther: „Von den Juden und ihren Lügen“.

- Rassismus und Orientalismus: Herrenmenschen gegen „Semiten“ (Araber UND Juden)

- Katholizismus, Protestantismus und „arische Rasse“: Der moderne Antisemitismus

- Die „Protokolle der Weisen von Zion“

- Von Wagner zu Hitler: Theorie und Praxis

- Die Nazis und der Holocaust

4´) Offener Antisemitismus ist der unverblümte Hass auf jüdische Menschen; sekundärer Antisemitismus bezeichnet auf Juden gerichtete Projektionen, um die deutsche Schuld am Holocaust zu relativieren oder zu leugnen, indem zum Beispiel Israel mit dem dritten Reich gleichgesetzt wird, oder „Zionisten“ den Holocaust zu verantworten haben. Struktureller Antisemitismus ist eine verzerrte Kapitalismuskritik, die zwischen schaffendem und raffendem Kapital trennt und (jüdischen) Drahtziehern die Schuld für das soziale Elend gibt.

Methode: Textdiskussion, Power Point Vortrag und Diskussion über eigene Erfahrungen (Blockupy, Mahnwachen…)

5.) Judenfeindschaft heute

Methode: Vortrag und Diskussion

5) Offene Diskussion mit den Teilnehmer_innen über Aspekte der Judenfeindschaft: Ökonomische, ethnische, religiöse, modern-rassistische Projektionen.

Methode: Textbeispiele von Briefen an die israelische Botschaft. Eigene Erfahrungen der Teilnehmer_innen. Wir sammeln die Punkte der Teilnehmer_innen, stellen sie an die Tafel und diskutieren diese aus.

6) Antisemitismus in heterogenen Jugendkulturen in Deutschland heute

Methode: Vortrag, Handout von Texten zum Thema und Diskussion

Die Bausteine spreche ich mit euch ab und richte mich dabei nach euren Interessen

Von circa 3 Stunden bis Wochenendseminar möglich

The Real Jurassic World - Saurier ohne Spielberg


Sauropoden wie Seismosaurus könnten die längsten und schwersten Tiere sein, die jemals an Land lebten, mit einem Gewicht von mehr als 50 Tonnen; einige Langhalssaurier hätten ohne weiteres in den dritten Stock eines Hauses blicken können. Ihre Jäger wie Allosaurus waren klein im Vergleich zu diesen Giganten, aber tödliche Feinde mit mehr als zehn Meter Länge und einem Maul voller Steakmesserzähne. (Einige) Dinosaurier erreichten eine riesige Größe, sie waren gefährlich – und sie sind lange tot. Sie sind also der Knochen gewordene Kinderalptraum mit einem Happy Ende.

Nessie im Jura

1877 startete der “Knochenkrieg”: Othniel Charles Marsh und sein Rivale Edward Cope wetteiferten darum, wer mehr Dinosaurier fand und benannte. Ihre paläontologische Arena war die Morrison Formation im Westen der USA. Apatosaurus (Brontosaurus) und Camarasaurus gehörten ebenso zu den Funden wie unbekanntere Langhalssaurier: Atlantosaurus, Amphicoelias und Dytrophaeus.

Marshs Team entdeckte ungefähr 500 neue Spezies von prehistorischen Tieren, Vögel mit Zähnen aus der Kreidezeit ebenso wie Urpferde, dazu einige der bekanntesten Saurier: Stegosaurus, Triceratops und Allosaurus. Marsh and Cope entdeckten zwar viele neue Arten, versagten aber in der akkuraten Beschreibung. Sie waren in Eile, so schnell wie möglich zu publizieren, und oft fehlten sogar die Ilustrationen. Cope veröffentlichte 1400 Artikel und beschrieb allein mehr als 1000 Arten von Wirbellosen.

Marsh gab Kreaturen wie Camarasaurus den Nonsensnamen Sauropoden: Das bedeutet nämlcih Echsenfuß, aber die Füße dieser Langhalssaurier ähnelten wenig heutigen Eidechsen, sondern funktionierten vielmehr wie die Füße von Elefanten.

Charles Knight malte 1897 Brontosaurus als ein amphibisches Monstrum, dessen Körper zu schwer war, um ihn an Land zu tragen, während sich der schlankere Diplodocus an Land herumtrieb. Bilder aus den 1920ern zeigten ebenfalls Sauropoden, die Wasserpflanzen auf dem Grund tiefer See fraßen und ihre Köpfe zum Atmen aus dem Wasser hielten.

Aber dies wurde hart diskutiert. Elmer S. Riggs aus Chicago benannte und beschrieb 1903 Brachiosaurus in Colorado, den damals größten bekannten Dinosaurier. Riggs verglich die Anatomie der Riesen mit Elefanten und schrieb, die Sauropoden seien spezialisiert gewesen, sich auf der Erde zu bewegen. Heute wissen wir, dass er richtig lag.

1905 zeigte das American Museum of Natural History ein rekonstruiertes Brontosaurus-Skelett. Die Beine lagen seitlich am Körper wie bei heutigen Reptilien. Doch heute wissen wir, dass die Dinosaurier ihre Beine unter dem Körper hatten wie Vögel, die von ihnen abstammen. Ein Diplodocus 1909 wurde ebenfalls wie ein gigantischer Leguan präsentiert. Mary Macan malte dann 1910 vier Diplodocidae, als würden sie sich an Land quälen wie ein gestrandeter Wal.

Zdenek Burian veröffentlichte 1941 ein Bild mit einem Brachiosaurus, der seinen Hals als Schnorchel benutzte, während er den schweren Leib im Wasser hielt. Bereits 1951 betonte K.A. Kernack aber, dass der Wasserdruck es unmöglich macht, mit einem so langen Hals zu atmen.

Bis weit in 1980er Jahre glaubten viele Forscher, dass Sauropoden Wasserpflanzen fraßen, und im Wasser wateten wie eine Art Wale mit Beinen. In den 1990er etablierte sich jedoch der Konsens, dass sie auf dem Land und in Herden lebten. Um 2000 zeigten Analysen der Knochenstrukturen, dass Sauropoden rapide wuchsen und ihre Größe ebenso wie ihr Gewicht in zehn Jahren vervielfachten.

Die Entdeckung und Beschreibung von Sauropoden explodierte in den letzten 20 Jahren. Mehr als die Hälfte der Langhalssaurier wurden in den letzten Dekaden benannt. Die größten wurden jetzt ebenso entdeckt wie die Kleinsten. Zwischen 1985 bis 1991 grub David Gilette den bis dato längsten aller Dinosaurier aus – ungefähr 34 bis 36 Meter vom Kopf bis Schwanz. Er war zugleich sehr schwer und stämmig. Gilette nannte den Riesen Seismosaurus, weil seine Schritte die Erde erschütterten wie bei einem Erdbeben.

Die Langhalssaurier waren weit verbreitet, ihre Fossilien finden sich auf allen Kontinenten – außer in der Antarktis (und die ist vielleicht nur noch nicht genug durchsucht).

Die Pflanzenfresser wanderten auf der Erde für rund 100 Millionen Jahre. Das widerspricht dem frühen Bild: Brontosaurus und Brachiosaurus wirkten in den frühen Konstruktionen wie der erste Versuch eines stümpferhaften Gottes oder eine primitive Stufe der Evolution. Auch frühe Darwinisten wie Haeckel gingen davon aus, dass sich das Leben vom Niederen zum Höchsten entwickelt. Jura und Kreide waren in dieser Sichtweise eine dunkle Zeit, aus der sich das Leben langsam empor kämpfte - so wie die Zivilisation aus der Barbarei.

Die ausgestorbenen Dinosaurier galten demnach als primitiver als die Vögel und Säugetiere. Die heutigen Säugergruppen leben jedoch nur einen Bruchteil der Zeit auf der Erde wie die Sauropoden, und die Langhalssaurier waren sehr lange ein Standardwerk der Evolution.

Sie sind zudem für Überraschungen gut. Lange Zeit hielt die Wissenschaft ihre Anmatomie für konservativ: Ein Körperbau wie die Golden Gate Bridge mit den Beinen als Pfeiler, ausbalanciert von Schwanz und Hals, ein winziger Kopf zum Pflanzen abzupfen und ein noch winzigeres Gehirn.

Doch die Riesen spezialisierten sich: Giganten wie Argentinosaurus mit einem Gewicht von vermutlich mehr als fünfzig Tonnen gehörten ebenso dazu wie Zwergriesen; der deutsche Titanosaurier Europasaurus wog 500 Kilogramm, also nicht mehr als eine Kuh. Agustina aus Argentinien hatte Stacheln auf dem Rücken wie ein Stegosaurus; Brachytrachelopan einen “kurzen” Hals, während der Hals von Mamenchisaurus mehr als die Hälfte seiner Körperlänge ausmachte. 2014 wurde Dreadnoughtus schrani (Der Fürchtenichts) rekonstruiert, mit immerhin 70 % seiner Knochen: Er war das schwerste Lebewesen überhaupt, das akurat bestimmt ist: Er wog 60 Tonnen.

Der Zwerg unter den Riesen

Sauropoden mit einem Gewicht von weniger als fünf Tonnen sind sehr selten. Europasaurus holgeri war so ein Zwerg unter Giganten. Holger Lüdtke, ein Hobbyforscher aus Gifhorn in Niedersachsen fand 1998 in einem Steinbruch Langenberg am Harzrand einen Dinosaurierzahn – der erste Beleg für Dinosaurier in dieser Gegend. Die Wissenschaft erkannte, dass es sich um einen Sauropoden handelte.

Der Steinbruch erwies sich als Goldgrube für Paläontologen. Bis heute wurden Knochen von mehr als 20 Langhalssauriern geborgen und bis heute circa 1200 Knochen präpariert. Die neue Spezies erhielt den Namen Europasaurus holgeri, um Lüdtke zu ehren. Die Tiere maßen von 1,70 m bis 6,20 m. Prof. Sander von der Universität Bonn fand heraus, dass die größeren unter den kleinen Sauropoden Alttiere waren. Ihr nächster Verwandter, Camarasaurus erreichte eine Länge von über 20 m und ein vielfaches des Gewichtes.

Die Schädelstücke ermöglichten Serien, die das Wachstum von Babys, Heranwachsenden und Alttieren zeigten. Die Jungtiere haben proportional große Köpfe und Füße, und die Knochen beweisen, dass die Schädel langsamer wuchsen als Rippen und Beine.

Europasaurus ist ein Beispiel für Inselverzwergung. Inseln bieten weniger Nahrung und kleinere Territorien als das Festland und große Tiere müssen sich verkleinern. Das gleiche geschah mit Elefanten auf Inseln wie Zypern und Malta, die nur die Größe von Kälbern erreichten, mit dem Bali-Tiger, der nur so groß war wie ein männlicher Leopard und sogar bei den „Hobbit-Menschen“, einer Zwergform des Homo Erectus auf Flores, der nicht größer wurde als ein sechsjähriges Kind.

Die Region um Bad Rehburg in Niedersachsen war im Jura eine tropische Welt, von einem Meer bedeckt, dessen Inseln weder die Riesen der Riesen wie Seismosaurus noch „mittlere“ Titanen wie Apatosaurus ernähren konnten. Europasaurus wuchs langsamer als seine großen Verwandten wie Camarasaurus - bei ihm kehrte sich das Extremwachstum der Sauropoden um.

Dinosaurier Park Münchehagen

Paläontologen im Dinosaurierpark Münchehagen untersuchen die Knochen von Europasaurus. Alle Fundstücke kommen in diesen Park nahe Hannover. Ein Team des Freilichtmuseums startete die Ausgrabungen unmittelbar, nachdem Lüdtke den Zahn gefunden hatte. Besucher des Dinosaurierparks sehen die gesamte Präparation in einem Schauraum: Vom Präparieren der Felsbrocken mit Knochen bis zu rekonstruierten Skeletten. Bei Europasaurus dauerte es insgesamt sechs Jahre, bis ein solches Skelett präpariert war und ausgestellt werden konnte.

Dinosaurierfährten der frühen Kreidezeit sind in Niedersachsen seit dem 19. Jahrhundert bekannt, das ist in Deutschland einzigartig. Anfang der 1980er machte die örtliche Feuerwehr Löschübungen in einem still gelegten Steinbruch bei Münchehagen. Die Feuerwehrmänner wunderten sich: Das Löschwasser sammelte sich nämlich in „Wannen“, die alle die gleiche Größe hatten. Wissenschaftler erkannten, dass es sich um Saurierspuren solche handelte.

Der Steinbruchbesitzer Ferdinand Wesling einigte sich darauf hin mit den Wissenschaftlern wie den Behörden Niedersachsens, den Steinbruch zu schützen und setzte sich 1993 mit einem Hersteller für Modelle prähistorischer Tiere, Bernd Wolter, zusammen. Die Idee war ebenso einfach wie erfolgreich: Die Spuren interessierten vor allem die Wissenschaft; um jedoch Laien zu begeistern, brauchte es plastische Darstellungen. Ein Zaun wurde gezogen und Modelle hinein gestellt.

Heute ist die Fundstätte das Naturdenkmal „Dinosaurierfährten“, bewahrt mehr als 250 Spuren, und eine Halle schützt die Versteinerungen. 2006 wurden die Saurierfährten als nationales Biotop ausgezeichnet, und im gleichen Jahr wurde das Freilichtmuseum Mitglied der National Geographic Society.

Von Saurierspuren zum prähistorischen Park

Das Freilichtmuseum zeigt heute hunderte Modelle von prähistorischen Tieren. Die Plastiken werden an den neuesten Stand der Forschung angepasst, darunter „Stars“ wie Triceratops, Tyrannosaurus Rex oder Allosaurus ebenso wie wenig bekannte Arten: Euoplocephalus, der „gut gepanzerte Kopf“, dessen Körper ein Hautpanzer aus Knochenplatten bedeckte, und dessen Schwanzkeule dem Raubsaurier Albertosaurus wohl die Beine zerschmetterte - oder Troodon, ein kleiner Läufer mit großem Gehirn, dessen Intelligenz vermutlich der von Raben entsprach.

Das größte Modell im Park und möglicherweise weltweit ist ein Seismosaurus von 45 Metern Länge und einer Höhe von 9 Metern, also weit größer als ein Doppeldecker-Bus.

Die Kreidezeit beeindruckt mit einigen der größten Fleischfresser an Land aller Zeiten: Tyrannosaurus Rex, Giganotosaurus und Spinosaurus sind allesamt in lebensnahen Modellen zu sehen – Giganotosaurus und Tyrannosaurus sogar im direkten Vergleich.

Spinosaurus aegyptiacus war der längste bekannte Theropode. Er maß vermutlich 17 m. Jüngste Forschungen ergaben: Spinosaurus lebte und ernährte sich im Wasser. Seine kegelförmigen Zähne eigneten sich, um Fische zu fangen; seine Nasenlöcher lagen weit oben wie bei einem Krokodil, und er hatte Schwimmhäute an den Füßen. Giganotosaurus wurde etwas länger als Tyrannosaurus, verfügte aber nur über ein Fünftel von dessen Biss-Stärke. Er hielt seine Beute, darunter auch Sauropoden, nicht fest, sondern riss vielmehr Fleischstücke heraus. Tyrannosaurus hingegen verließ sich ausschließlich auf seine Kiefer; er konnte mit einer Kraft von 16000 kg pro Quadratzentimeter zubeißen. Möglicherweise trieben die schnelleren Jungtiere die Beute den Eltern zu, die im Versteck lauerten.

Das “Zeitalter der Säugetiere”, das Tertiär schließt sich an, mit Kreaturen wie Entelodon, einem frühen Verwandten der Schweine, der größer wurde als ein Pferd, Paraceratherium, dem größten Landsäuger aller Zeiten, einem frühen Nashorn, Arsinotherium, einem weitläufigen Verwandten des Elefanten, der aber zwei Hörner über der Nase trug und Megatherium, dem Riesenfaultier.

2014 kam eine der größten Eiszeitsammlungen Europas hinzu mit mehr als 2500 Objekten, darunter ein fast komplettes Skelett eines Wollnashorns und ein Mammut-Stoßzahn mit einer Länge von 4 m.

Das “Museum im Museum” zeigt die Irrwege der Wissenschaftsgeschichte. Unser Verständnis von Dinosauriern änderte sich dramatisch, neue Methodne und neue Funde widerlegten falsche Vorstellungen wie die von Sauropoden, die unter Wasser lebten. Statt Modelle wegzuschmeißen, die auf überkommenen Vorstellungen basierten, präsentiert der Dinosaurierpark sie in einem eigenen Bereich: Tyrannosaurus steht aufrecht, und sein Schwanz schleift auf dem Boden. In Wirklichkeit hielt er den Schwanz waagerecht und den Körper damit in Balance.

Münchehagen nennt sich selbst Dinosaurierpark, ist aber ein prähistorischer Park und informiert über die Naturgeschichte des Lebens von ihren Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit. Das Team des Freilichtmuseums möchte dabei immer wieder auch neue Wege beschreiten. 2015 startet die Sonderausstellung “The Future is wild” , eine wissenschaftliche Vision über die Evolution nach dem Menschen.

Literatur:

Dinosaurierr-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagenn (Hg.). Museumsführer. Regburg-Loccum 2012.

P. Martin Sander; Octávio Mateus; Thomas Laven; Nils Knötschke: Bone histology indicates insular dwarfism in a new Late Jurassic sauropod dinosaur. In: nature04633. Vol 441/8 June 2006.

Michael B. Taylor: Sauropod dinosaur research: a historical review. Geological Society, London, Special Publications 2010.

Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen. S.4.

Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen. S.11-80.

Vgl.: Dinosaurier-Freilichtmuseum und Naturdenkmal Dinosaurierfährten Münchehagen (Hg.): Museumsführer. Rehburg-Loccum 2012. S.97.

Interview mit Armin Schmitt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dinosaurier-Freilichtmuseum Münchehagen im April 2014.

Leseprobe “Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch” - Wolfsmenschen und Werwölfe Erschienen September 2013 bei Cadmos

1.) Wolf und Mensch – Eine alte Geschichte

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland löst heftige Emotionen aus – dabei interessiert die Wiederkehr des Elches oder die Ausbreitung des Bibers kaum jemand. Die einen fürchten um ihre Kinder oder zumindest um ihre Schafe, die anderen begeistern sich für einen Botschafter der Wildnis.

„Der Wolf ist ein Tier, das unserer Vergangenheit angehört“, schrieb der Wolfsforscher Erik Ziemen. Er starb 2003, fast hundert Jahre nach dem Tod des letzten Wolfes in Deutschland, und er konnte nicht wissen, dass heute wieder über sechzig Wölfe bei uns ihre Heimat haben. Die Vergangenheit wird lebendig: Die Bilder vom Wolf sind nämlich in der Kulturgeschichte überliefert – ältere Menschen wuchsen auf mit dem Wolf als Bestie. Das Gegenbild ist eher bei Jüngeren verbreitet: Statt Angst vor dem Waldräuber zeigt sich Begeisterung. Diese „Wolfsfreunde“ sehen im Wolf die Heilung der geschändeten Natur. Wirkliche Erfahrung mit frei lebenden Wölfen hat kaum jemand und trotzdem ist der Wolf niemand gleich gültig. Das kulturelle Gedächtnis schlummert im kollektiven Unbewussten. Geschichte wird Gegenwart; der Wolf kehrt zurück und mit ihm die Irrungen und Wirrungen des europäischen Verhältnisses zur Natur. Die Bilder vom Wolf verraten die Gesellschaft, die diese Bilder produziert. Das Gemälde von Meister Isegrimm droht atavistisch als Ungeheuer im dunklen Wald, es glänzt heroisch als Herrscher über die Beute oder es schillert romantisch als edler Wilder. Realistisch ist es hierzulande jedoch fast nie.

Der „Wolf in uns“ verrät, wie wir die Welt außerhalb und innerhalb des Menschen handhaben; er verrät unsere Furcht, unsere Wünsche und unsere Abgründe. Warum löst aber gerade die Wiederkehr des Wolfes diese Gefühle aus, nicht jedoch die des Seeadlers oder des Schwarzstorchs? Kein Tier steht dem Menschen näher als der Wolf in seiner domestizierten Form Hund. So schreibt Barbara Ehrenreich: „Unsere wichtigsten Jagdlehrer waren wahrscheinlich (…) die in Rudeln vorgehenden Wölfe und wilden Hunde.“ Im Unterschied zu den großen Katzen, den Bären und den anderen großen Beutegreifern schlossen sich die Wölfe zudem den Menschen an. Zugleich blieben sie Gefahr und Konkurrenz für die frühen Jäger. Wie die frühen Menschen jagen auch Wölfe im Sozialverband, und auch im wilden Wolf ist der domestizierte Hund erkennbar – der Hund, den wir als einziges Tier in die menschliche Familie aufgenommen haben. Der Hund und damit der Wolf bricht als einziger die Grenze zwischen uns und den anderen Tieren auf.

Der Wolf ist kein Monster, sondern die Veränderung der Gesellschaften schuf das Bild vom Wolf als Monster. Der Konflikt mit dem Wolf war „hausgemacht“, so Oeser. „Niemanden hasst der Hund so wie den Wolf. Er erinnert ihn an seinen Verrat, sich dem Menschen verkauft zu haben“, schrieb Kurt Tucholsky über den Hass derjenigen, die ihre Freiheit für Bequemlichkeit verraten auf die, die ihre Selbstbestimmung über „Brot und Spiele“ stellen.

„Wir bringen uns in Gefahr, wenn wir zulassen, dass der Wolf stirbt“, schließt Rowlands. Denn wir laufen in die Falle, die uns unser großes Gehirn stellt: „Am Ende werden die Pläne des Affen fruchtlos bleiben. Durch seine Schläue wird er dich betrügen, und sein äffisches Glück wird versiegen.“ Entscheidend ist jenes Ich, das übrig bleibt, wenn das Glück versiegt, so der Philosoph. Da erkannte er nämlich, dass „in einem uralten Teil meiner Seele noch ein Wolf lebt.“

Wolf und Mensch / genaueres unter Vortragsangebote

1) Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland – Bestie oder Wildnisgott?

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschlandlöst eine Welle von Reaktionen in der Öffentlichkeit aus – dabei scheint zum Beispiel die Rückkehr des Elches über die Oder kaum jemand zu interessieren. Der Wiederkehrer Isegrimm polarisiert: Manche fürchten um ihre Kinder oder zumindest um ihre Schafe, andere begeistern sich für das Tier, das als unberührte Wildnis die überzivilisierte Moderne zurückdrängt. Die alteuropäischen Kulturen kannten die Verwandlung von Menschen in Tiere; die Seele von Schamanen bereiste in Wolfgestalt die unsichtbare Welt; Krieger hüllten sich in Wolfspelze, um die Kraft der verehrten Wölfe anzunehmen. Am Umgang mit dem Wolf lässt sich das Verhältnis zur Natur erkennen. Der als Gott verehrte “Krieger” der Jägernomaden, die Wölfin als Symbol mütterlicher Aufopferung wurde zum Feind der Ackerbauern und des Adels. Die Sage vom Wolfsmensch erzählt uns auch davon, dass der Wald einmal auch unser Zuhause war.

Lernziele: Aufklärung über das Verhältnis von Mensch und Wolf und Schulung in den Konflikten, Bildern und Ängsten, die mit der Rückkehr des Wolfes verbunden sind, sowohl als Schulung für die Schüler, als auch für Lehrer, um auf Fragen, die zur Rückkehr des Wolfes gestellt werden, eingehen zu können.

Möglich als Vortrag, Workshop oder Wochenendseminar.

Historiker, Dozent, Publizist