Wolfsgötter und Schamanen - Die Inszenierung eines anthropologischen Traumas
Anmerkung: Der gesamte Artikel ist in der Märzausgabe 2009 des Nautilus-Magazins einsichtig.
Die Vorstellung, dass Menschen sich körperlich oder geistig in Tiere verwandeln könnten, ist seit der Steinzeit und aus der gesamten Welt bekannt. Götter und Göttinnen in Menschengestalt konnten auch die Gestalt von Tieren annehmen: Die Vielfalt der Tiermenschen entspricht derjenigen der „real existierenden“ Tiere. Ihre Eigenschaften entsprechen denen bei den Tieren beobachteten: Der Satyr ist lüstern wie ein Ziegenbock, der Werwolf ein Jäger und Fleischfresser wie der Wolf, der Bärenmensch stark wie ein Bär. Auch Ähnlichkeiten zwischen Tieren und Menschen flossen in die Vorstellung von Tierverwandlungen ein: das „Lachen“ der Hyäne erinnert an eine garstige alte Frau, das „Heulen“ der Kegelrobbe an ein weinendes Kind. Afrikanische Kulturen haben entsprechend ihre Werkrokodile, Werleoparden und Werlöwen und ihre Hexen, die sich in Hyänen verwandeln.
Was beim Schamanen, dessen Seele in Tiergestalt oder begleitet von einem Tiergeist durch die Unterwelt schweift, als geistige Erfahrung erscheint, hat eine Entsprechung in der Auseinandersetzung des Menschen mit den (anderen) Tieren, die von jeher um ihn herum lebten. Der Kampf des Helden mit dem gefährlichen Tier, dem Ungeheuer, ist der zentrale Punkt menschlicher Mythologien. Zugleich hat der Held auch selbst häufig die Eigenschaften eines gefährlichen Tieres: Beowulf heißt Bärenwolf, ein Mensch mit der Stärke und Kampfesfähigkeit dieser Raubtiere.
Freud sah Ungeheuer als Projektionen verbotener Aggressionen an, Jung erkannte darin Archetypen des kollektiven Unbewussten. Der Wolf als Traumfigur lässt sich so als Gier infantiler Neurotiker interpretieren, die den Schatten ihrer Psyche nicht in ihre Entwicklung integriert haben und ihre soziale Umwelt „auffressen“. Warum aber Tiere, wie in diesem Fall ein Beutegreifer, im Traumbild, in der Psychoanalyse oder in der Ekstase erscheinen, lässt sich aus der frühen Erfahrung mit der natürlichen Umwelt erklären. Möglicherweise hat sich das Bild als Abbild einer nicht symbolischen, sondern körperlichen Erfahrung in die menschliche Psyche eingeprägt: Das Bild des reißenden Tieres, das Menschen frisst geht einher Bestreben, von der Beute zum Jäger zu werden. Das Maul des verschlingenden Tieres als Urbild des Horrors, als letztes, was ein Mensch vor seinem Tod sieht, floss in die Mythen der Welt ein.
Die Verbindung vom als Gott verehrten Raubtier, dem Tiger im Delta des Ganges, dem Jaguar, dem Löwen und dem Schamanen / Priester, der selbst zum verehrten Tier wird, ist fließend. So erörterte Mircea Eliade: „Sich wie ein wildes Tier zu verhalten – wie ein Wolf, ein Bär, ein Leopard – ist das Zeichen dafür, dass man aufgehört hat, ein Mensch zu sein… dass man gleichsam zu Gott wird. Das Raubtier stellt auf der Ebene der elementaren religiösen Erfahrung eine höhere Daseinsform dar.“ Die Verwandlung zum Raubtier ist ein Kern des Blutrituals vieler Religionen: Das Obsidianmesser, mit dem die Aztekenpriester den Menschenopfern das Herz heraus schnitten, repräsentiert die Zähne und Krallen des Jaguars. Der Gott, dem das Opfer gebracht wird, ist ein Jaguargott. In den 1930er Jahren terrorisierten „Löwenmenschen“ das heutige Tansania, ermordeten ihre Opfer mit Waffen, die die Krallen des Löwen nachahmten und glaubten, sich in Löwen zu verwandeln. Ähnlich mörderisch waren die Leopardenmenschen Liberias, die Anioto. Verehrung und Furcht liegt in Religionen nahe beieinander. Vielleicht steckt in dem Menschenopfer an die (Raubtier-) Gottheit die imaginäre Kontrolle über das hilflose Ausgeliefertsein des frühen Menschen an einen grausigen Zufall: Das Raubtier wird durch ein Opfer davon abgehalten, weitere Menschen zu töten. Hier mag die reale Beobachtung eine Rolle gespielt haben, dass ein Beutegreifer, der ein Opfer gefunden hat, die Anderen überleben lässt.
Die aktive und selbstständige, teilweise übermächtige Rolle, die Tiere in den Mythen der Alten und bei heutigen so genannten Naturvölkern spielen, ist in den Fernsehfiguren von süßen Bären und samtäugigen Tigern kaum zu erkennen. In einer Zeit, in der Atomwaffen die lebendige Welt mehrfach vernichten können, scheint die Ehrfurcht vor Raubtieren keine Rolle mehr zu spielen; und doch lebt sie im Unbewussten fort: In den Angstträumen von Kindern spielen weltweit Tiermonster eine entscheidende Rolle, obwohl die realen Gefahren, zum Beispiel die, von einem Auto überfahren zu werden, nicht von Tieren ausgehen. Weit verbreitet ist die Angst, nachts in den dunklen Wald zu gehen, obwohl die reale Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, wohl nirgendwo in Deutschland so gering ist wie in einem ländlichen Wald. Auch hier spiegelt sich die Urangst vor dem Tier, das im Dunklen lauert.
Das öffentliche Menschenopfer, eine Inszenierung des anthropologischen Traumas, vom Raubtier gefressen zu werden, mag Menschen der Industriegesellschaft grausam und als Aberglaube einer unaufgeklärten Zeit erscheinen. Der Werwolffilm erfüllt aber ein analoges Bedürfnis, die Faszination, dem Menschen fressenden Tier zu begegnen und zu überleben – dem tierischen Menschenfresser, der nicht nur Tier, sondern auch Mensch ist.
Gerade in archaischen und heutigen Wildbeuterkulturen, in denen die Alltagserfahrung in der Natur daraus besteht, immer Jäger und Gejagter zugleich zu sein, erscheint eine fundamentale Trennung zwischen Mensch und Tier abstrus. Animismus heißt die Vorstellung, dass alles, was lebt, beseelt ist, und das englische Wort für Tier, the animal, leitet sich daraus ab. Und so hat in manchen schamanischen Kulturen jeder Mensch auch seine ihm eigene Tierseele.
Das Christentum stellte Gott über die Natur und verteufelte das Tier im Wortsinne, verdrängte die Sexualität, die Wildnis und die Körperlichkeit in das Reich Satans, wo die Wölfe zu Dämonen in Tiergestalt wurden. Der Werwolf, ein Kriegerideal des germanischen Altertums, wurde zu einem dem Teufel verfallenen Hexenmeister, einem Vergewaltiger der Frauen und Kinderfresser.
Kein Tier steht dem Menschen näher als der Wolf und seine Haustierform, der Hund.
So schreibt Barbara Ehrenreich: „Unsere wichtigsten Jagdlehrer waren wahrscheinlich (…) die in Rudeln vorgehenden Wölfe und wilden Hunde.“ Und im Unterschied zu den großen Katzen, den Bären, den Hyänen und den anderen großen Beutegreifern, schlossen sich die Wölfe den Menschen an. Zugleich blieben sie Bedrohung und Konkurrenz der frühen Jäger mit einigen Gemeinsamkeiten. Wie die frühen Menschen jagen auch Wölfe im Sozialverband, und auch im wilden Wolf ist der zahme Hund erkennbar – der Hund, den wir als einziges Tier in die menschliche Familie aufgenommen haben: Der beste Freund des Menschen ist zugleich ein Raubtier.
Der Wolf repräsentiert wie kein anderes Tier die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Kultur und Wildnis, den Konflikt, den der Mensch in sich trägt - der Mensch, der nicht nur Vernunft, sondern auch Trieb, nicht nur Geist, sondern auch Fleisch ist und mit all seiner Intelligenz ebenso sterblich wie alle anderen Lebewesen.
Der Mythos lebt weiter, nicht nur im fantastischen Film und Buch: In Rumänien glauben heute noch viele Menschen, dass es Werwölfe wirklich gibt. Den Werwolf scheinen weder geografische noch biologische Grenzen des Wolfes zu stören: Nahe Fortaleeza in Brasilien lebt heute ein Mann, dem Besonderes widerfahren ist: Er sah den Wolfsmenschen! Und im Dorf Playosa in Argentinien, lebten die Bewohner 2005 in Furcht, weil ein Lobizon umgehen sollte, so die dortige Variante. Die Beschreibungen reichten von einer Art ponygroßem Hund bis zu einem bleichen jungen Mann, der alleinstehenden Mädchen nachstellte. Der Wolf im dunklen Wald erzählt uns davon, dass dieser Wald einmal auch unsere Heimat war.
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