Neonazis und Serienmörder - Zur Soziopathologie der Zwickauer Zelle
Neonazis und Serienmörder – Zur Soziopathologie der Zwickauer Zelle
Ein Nazi-Trio mordete in Serie als Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. Außergewöhnlich ist die Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Serienmördern. Ein Serienmörder ist kein Massenmörder, der an einem Ort zu einer Zeit killt wie Mohammed Atta beim Anschlag auf das WTC. Ein Serienmörder ist auch kein „Spree Killer“, der an mehreren Orten in einem Zeitrahmen tötet wie Anders Breivik, der erst eine Bombe in Oslo warf und dann das Massaker in Utoya verübte, sondern tötet in zeitlichem Abstand.
Serienmörder sind gezwungen, zu töten. Sie sind Süchtige, ihre Morde umgesetzte beherrschende Bewusstseinsinhalte. Der Vortrag beleuchtet die Zwickauer Killer im Vergleich mit anderen Serienmördern und führt in das Profiling ein.
Serienmörder und Soziopathen
Uwe Mundlos war ein guter Schüler. Uwe Böhnhardt jobbte als Gelegenheitsarbeiter, war ein bekannter Schläger, Waffenfetischist und Kampfsportler. Diese beiden ermordeten mutmaßlich mindestens zehn Menschen. Beate Zschäpe, die dritte der Zelle, war anscheinend an den Morden direkt nicht beteiligt. Die Täter gingen nach dem gleichen Schema vor, betraten einen Döner-Imbiss, schossen Einwanderern in das Gesicht und fuhren mit dem Fahrrad fort. Ein wiederkehrendes Tat- und Opfermuster lässt auf das Profil von Serienmördern schließen: Bei Jack the Ripper waren die Opfer Prostituierte, bei dem „Werwolf von Hannover“, Fritz Haarmann, junge Männer, bei Adolf Seefeldt Kinder in Matrosenanzügen, bei den mutmaßlichen Killern aus Zwickau Einwanderer.
Die „Dönermörder“ hinterließen, im Unterschied zu klassisch politischer Gewalt, keine Bekennerschreiben, die Ermittler tappten im Dunklen, vermuteten die türkische Mafia. Politische Kriminelle vermitteln ihre Botschaft, beseitigen aber die Spuren; Mundlos und Böhnhardt hinterließen keine konkrete Botschaft, nutzten aber immer die gleiche Pistole und bewahrten die Waffe einer getöteten Polizistin. Für politische Täter wäre das dumm, für den irrationalen Fetischismus von Serienmördern typisch. Mordsüchtige können sich ihr Opfermuster nicht frei wählen und auch nicht rational Spuren beseitigen, die Teil ihrer Pathologie sind. So wie die Zwickauer die Waffe als Trophäe behielten, sammelten andere Serienkiller Körperteile oder Kleidung ihrer Opfer.
Die Vorstellung eines Serienmörders geht oft einher mit dem Begriff des Psychopathen oder Soziopathen. Psychopath bedeutet seelisch Kranker. Aber die wenigsten seelisch Kranken sind gewalttätig, Soziopathen, sozial Gestörte, selten in Behandlung: Manche kommen wegen ihrer Skrupellosigkeit nach oben – in Amerika gibt es dafür den Begriff „Snakes in Suits“; Theodor Lessing sprach vom „Wolfsmenschentum in Anzug und Krawatte.“ Serienmörder haben aber die Grenze überschritten, die legale Ventile ermöglich hätte.
Soziopathen empfinden kaum Mitgefühl und reflektieren die Folgen ihrer Taten nicht. Diese dissoziale Störung trifft auf viele Serienmörder zu. Den Kranken fehlt Frustrationstoleranz, sie reagieren auf Enttäuschungen mit Gewalt, machen andere für Misserfolge verantwortlich, lernen nicht aus schlechten Erfahrungen mit ihrem Verhalten, sondern erklären ihre Brutalität „rational.“
Serienkiller fallen oft früh auf durch Tierquälerei, erste Gewalttaten und ein von Missbrauch und Brutalität geprägtes Umfeld. Treten zu kaputten Familien, fehlender Körpernähe und Drogenproblemen zum Beispiel fehlende Väter, Isolation und sexuelle Projektionen der Mütter prägt sich eine dissoziale Struktur. Kommt dazu Ablehnung durch Schulkameraden, Versagen der Sozialdienste, Ausgrenzung in der Nachbarschaft und Unfähigkeit, sich sexuell zu integrieren, ist dies ein Steckbrief für einen möglichen Serienmörder. Eine seelische Belastung wie der Verlust des Arbeitsplatzes löst den ersten Mord aus – und dann ist es zu spät. Gewaltfantasien enden im Todesritual.
Ein Serienmörder ist kein Massenmörder, der an einem Ort zu einer Zeit killt wie Mohammed Atta beim Anschlag auf das WTC. Ein Serienmörder ist auch kein „Spree Killer“, der an mehreren Orten in einem Zeitrahmen tötet wie Anders Breivik, der erst eine Bombe in Oslo warf und dann das Massaker in Utoya verübte, sondern tötet in zeitlichem Abstand.
Tötungsdelikte geschehen meist in persönlichen Beziehungen. Die Opfer von Serienmördern müssen die Täter aber nicht kennen, sondern einem Muster entsprechen, zum Beispiel blond und schlank, oder, wie bei der Zwickauer Zelle, Einwanderer sein. Serienmörder sind gezwungen, zu töten. Sie sind Süchtige, ihre Morde umgesetzte beherrschende Bewusstseinsinhalte.
„Schweigen der Lämmer“ zeigte den Serienmörder als Genie. Zwar gibt es Serial Killers mit hoher Intelligenz wie Charles Manson, viele sind aber nicht intelligenter als der Durchschnitt, etliche bewegen sich an der Grenze zur Debilität. So war der Kannibale „Papa“ Denke als liebenswerter „Dorfdepp“ bekannt. Deutsche Serienmörder sind statistisch unterdurchschnittlich intelligent. Uwe Böhmhardt würde in dieses Profil passen.
Soziopathen und Faschisten
Böhmhardt und Mundlos waren mutmaßliche Serienmörder und Rechtsextreme. Rache, Verfolgungs- und Verschwörungsfantasien sind Antrieb für Serienmörder, die sich als Vollstrecker sehen: Ed Kemper übte, seinen Worten zufolge, eine „poetische Gerechtigkeit“ aus. Die Männermörderin Aileen Wuornos sah den höheren Sinn, „die Welt von diesen Dreckskerlen zu befreien“. Richard Trenton Chase, der „Vampir von Sacramento“, glaubte, dass Mafia und Außerirdische sein Blut austrockneten. Charles Manson, dessen Jünger Roman Polanskis Ehefrau ermordeten, inszenierte sich als Messias eines fantasierten Weltkriegs und tätowierte sich ein Hakenkreuz. Das pathologische Moment vieler Serienmörder zeichnet Nationalsozialismus ebenfalls aus: Hitler sah sich als Figur der „Vorsehung“; die „jüdische Weltverschwörung“ ist der Prototyp des Verschwörungswahns. Erich Fromm erkannte bei Hitler einen das Leben hassenden Charakter und sah dessen Ideologie als Ausdruck davon. Die Vernichtung eines konstruierten Feindes und Macht über Leben und Tod ist Motor faschistischer Weltanschauung. Das gilt auch für Serienmörder. Ob Böhmhardt und Mundlos die mörderische Pathologie zur faschistischen Ideologie trieb oder die Ideologie zum Mord lässt sich nicht scharf trennen. Faschisten sind keine unpolitischen Soziopathen, aber der Faschismus ermöglicht es Soziopathen, ihre Störung umzusetzen. Mitleidlosigkeit ist in der Nazi-Ideologie erklärtes Ziel. Gehirnwäsche und das „Abrichten zum Töten“ belegen, dass den meisten Menschen die Empathie erst zerstört werden muss. Dagegen bildeten den Kern der NS-Kampfverbände, über die sich heutige Neonazis definieren, Männer, deren Psyche dem Töten entsprach. Wie Breivik nach dem Massaker seine „Mission“ als „Ritter“ zu verkünden, ist dem faschistischen Ideal näher, als ohne Botschaft mit dem Fahrrad zu verschwinden.
Zu offensichtlich?
Zwischen den Zwickauer Neonazis und „normalen“ Serienmördern gibt es einen Unterschied. Kaum eine Szene ist so von V-Männern des Verfassungsschutzes durchsetzt wie die rechtsextreme. Der Gründer des „Thüringer Heimatschutzes“, zu dem die Täter gehörten, Tino Brandt, arbeitete als V-Mann. Die „Kameradschaft Jena“, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt darunter, stellte 1997 Bombenattrappen in der Jenaer Innenstadt ab. Das Trio gründete danach den „National Sozialistischen Untergrund“. Es handelte sich nicht um unbekannte Serienmörder, auf die die Polizei durch Spuren aufmerksam wurde, sondern um gesuchte Kriminelle. Die rechte Szene scheint ihre Kameraden als Killer geahnt zu haben. So sangen „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ 2010 vom „Döner-Killer“: „Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken / Kommt er vorbei, müssen sie verrecken.“
Ungewöhnlich für Serienmörder ist die Integration von Böhmhardt und Mundlos in die offene Gewalt des rechten Milieus. Beide jagten mit anderen Neonazis Andersdenkende, bevor sie in den Untergrund gingen. Vielleicht lenkte gerade diese Gangkriminalität den Verdacht nicht auf sie, weil sie nicht wie typische Serienkiller als Einzelgänger am Rande lebten oder ein Doppelleben führten. Vielleicht führte gerade die Verbindung von V-Leuten zur typischen Kriminalität der Szene dazu, dass die untypische Tötungsreihe aus dem Blickfeld verschwand. Die Mordserie folgte auf das Abtauchen, nachdem die Polizei gegen Böhmhardt und Mundlos ermittelte. War Isolation von der Gruppenkriminalität der Funke zum Serienmord?
Was die Zwickauer Killer von klassischen Serienmördern unterscheidet, ist die rechtsextreme Infrastruktur. Im Unterschied zu den meisten Serienmördern hatten sie Tathelfer, eine Organisation und in die Verbrechen Involvierte. Welche Verbindung bestand zum braunen Netz? Neonazis mit ähnlichem Täterprofil gibt es zuhauf. Hätte die Entwicklung von Straßenschlägern zu Serienmördern gestoppt werden können?
Für die meisten Kriminellen ist Verschwiegenheit Gebot. Dagegen brüsten sich Rechtsextreme mit ihren Taten; die gemeinsame Gewalt kittet ihren Zusammenhalt. Die von Edgar Allan Poe in „Der verwendete Brief“ gedachte Logik ist möglich. Die Polizei durchsucht in der Geschichte das Haus eines Verdächtigen, um einen Brief zu finden, sucht aber nicht zwischen den Briefen. Das Offensichtliche entgeht der Wahrnehmung: Die plakativ und kollektiv ausgeübte Gewalt des Milieus wäre ein Schutz für die anders geartete Gewalt der Mordserie gewesen.
Ein Ausdruck der Verhältnisse
Fritz Haarmann ermordete in den 1920er Jahren mindestens 24 junge Männer. Theodor Lessing, der den Fall dokumentierte, erkannte den Mörder als Ausdruck der verrohten Gesellschaft und sah in ihm den Vorboten von Schlimmerem. Als der Mord 1933 Politik wurde, erfüllte sich die Vorahnung. Plakative Forderungen versprechen heute falsche Sicherheit: Die politischen Mittel des Rechtsstaates und der Zivilgesellschaft können Neonazis behindern. Ein NPD-Verbot erschwert Parteiarbeit; Demonstrationen gegen Nazis stören ihre Aufmärsche; kritische Artikel entlarven rechtsradikale Mythen. Serienmörder hindern solche Antinazi-Aktionen aber ebenso wenig wie ein Messerverbot Jack the Ripper gestoppt hätte. Täter, die sowohl organisierte Rechtsextreme als auch Serienmörder sind, stellen das Profiling vor neue Aufgaben. Am entscheidenden Punkt stehen auch die fähigsten Kriminalisten vor einem Rätsel, denn niemand kann in die Seele eines Serienmörders blicken außer einem Serienmörder und selbst der kennt selten seine Beweggründe. Am Ende der Analyse steht der Blick in die Hölle des Unbewussten von Monstern, die Menschen sind.