Vom Wolf in uns zum Hauswolf und zurück / Interview mit DogTalking
Vom Wolf in uns zum Hauswolf und zurück
Im Gespräch mit Dr. Utz Anhalt, Wissenschaftler, Mann der Wölfe und Hundemensch
Als DogTalking-Redakteur darf man sich glücklich schätzen; kommt man doch immer wieder in den Genuß, sich hochinteressanten Charakteren, Tier wie Mensch, widmen zu dürfen. Diese Begegnungen dann mit den Lesern, quasi von Hundemensch zu Hundemensch, zu teilen, kann man gern auch als Ehrensache bezeichnen. Insbesondere, wenn man auf Konversationspartner trifft, die wirklich Spannendes und Neues zu erzählen haben und sich unser aller Lieblingsthema “Hund” auf ungewöhnliche, besonders intensive oder vielschichtige Weise nähern, die ausbrechen aus dem ewigen Kanon von Hunde-Lifestyle und -Pädagogik/Verhaltensforschung, dem der meiste Inhalt der Publikationen rund um den Hund zuzuordnen ist.
Dass diese thematische Reduktion/Focussierung dem Hund nicht gerecht wird, braucht nicht näher erklärt werden, denn wir alle wissen: der Hund ist, was wir aus ihm machen. Warum das so ist und wie das alles funktioniert, was das alles das über und für uns Menschen und die Hunde aussagt und bedeuten könnte, wie diese wundersame Beziehung zwischen den Spezies im Kern beschaffen ist, diese Fragen gehen mitunter etwas unter in einer Gesellschaft, in der der Hund nur scheinbar umgeformt wurde vom Nutztier (bleibt er doch in Wirklichkeit stets eines, selbst, wenn man nicht durch ihn Geld verdient) zum Sozialpartner (worst case: der Hund als Kind-/Partnerersatz), Erziehungsthema (der Hund als Versuchsobjekt und Projektionsfläche menschlichen Kontrollwahns und Machtgebaren) und Freizeit-/Hobby-/Sportgerät (der Hund als Erfüllungsgehilfe von Prestigebestreben und Statusgewinn, sei es der Huskys verschleissende Musher oder der jeden ästhetischen Wahnsinn mitgehende “Züchter”, sei es der Vermögen weit jenseits aller Angemessenheit zahlendeRassehundhalter, der den Hund zum Accessoire degradiert, diesen wie Interieur behandelt und entsprechend auswechselt, wenn der Hund “nicht mehr passt”, also der durch ihn generierte emotionale Mehrwert aufgebraucht oder uninteressant geworden ist - manchmal aber ist man auch ganz lapidar überfordert und streckt enttäuscht die Segel, gut, dass nach dem anstrengenden Weimaraner der Mops auf den Hipnessthron gehievt wurde, der kostet zwar aufgrund vermehrter Sollbruchstellendichte eventuell mehr Tierarzt oder stirbt früher weg, aber bleibt bei Verhaltensauffälligkeiten wenigstens “handlebar” und niedlich, ach, schaut mal, wie putzig sich der Kleine wieder aufregt, ja Lord Nelson, du bist n ganz Grosser! Was? Neinnein, der ist gesund, der röchelt immer so doll, wenn er so heftig an der Leine zieht wie jetzt gerade, kriegt man auch nicht aus ihm raus, er ist halt ein kleiner Dickkopf…).
Anders gesagt: Wir haben, mal wieder, ein Stück Natur bis ganz zum Ende durchkultiviert. Da war der Mensch schon immer gandenlos. Was vom Hunde übrig bleibt, ist in etwa mit den geschmacksneutralen, verwässerten Tomatenklonen aus dem Discounter zu vergleichen. So blieben Eigenleben und Einzigartigkeit des zum Attributträger und kulturellen Artefakt transformierten Tieres und dessen Würde leider auf der Strecke. Der Hund spiegelt unser Bedürfnis nach (einer) Natur wieder, die wir ihm kurz zuvor noch nach allen Regeln der Kunst ausgetrieben haben. Nun bejammern wir den Verlust und beginnen, den Hund zu fetischisieren, immer neue Rassen und Typologien, um nicht zu sagen: Darreichungsformen vom Hund müssen her, um z B unser Bedürfnis nach einer Rückverbindung zur (bitte möglichst keimfreien und ungefährlichen) “Natur” (welche Idealismen wir auch immer damit verbinden) zu stillen, also unsere (Sehn-)Sucht nach passenden Objektträgern, denen repräsentativ das gewünschte Attribut ( z B Stärke, Urtümlichkeit, Schärfe usw) anhaftet, zu befriedigen.
Der Hund ist in seiner Produkthaftigkeit, die ihm zwangsläufig in dieser Entwicklungsphase unseres vom herrschenden Wirtschaftsmodell inc all seiner Co-Morbiditäten sozialisierten Kulturkreises stets zu eigen sein wird, immer Trends, Moden, Wahrnehmungsveränderungen, ästhetischen Korrekturmassnahmen unterjocht. Dabei können verschiedenste Kräfte wirken, nicht nur die ausgeklügelter Marketingstrategien, die die künstlichen Bedürfnisse in uns erzeugen, und damit dafür gesorgt haben, dass wir die Sklaverei unseres Konsumentendaseins als Freiheit missdeuten. Als zweite Fessel wurde eine Kultur der Angst implementiert, die alles Fremde, Unkontrollierbare, Unformatierte zur Gefahr für unsere zwar plüschig dekorierte, dadurch aber nicht sinnfreiere, jedoch ziemlich unfreie Existenz deklariert. Und auch in diesem Zusammenhang erscheint der Hund als Manifestation des kläglichen und maroden Zustandes der menschlichen Gesellschaft, die ihn formt. Und so ist es passiert, dass, als er feststellen musste, dass er die ganze Rassehundsache komplett an die Wand gefahren hat, der westlich zivilisierte Mensch den genetischen Resetknopf zu drücken wünscht, Wolfsblut muss her, damit der Hund wieder wirkt, ohne Trauerspiel und real gewordenes Schauermärchen zu sein.
Der Wolf also soll dem Menschen den Hund wiedergeben? Dabei war er doch sonst immer böse und sogar Synonym für unseren ärgsten Feind, dem Menschen selbst, der ja bekanntermaßen der Wolf des Menschen ist. In seiner mythischen Verquickung geht dann bei Vollmond sogar ein von allen Hemmschwellen der Menschlichkeit entfesseltes Ungetüm namens Werwolf auf Menschenjagd, und in manch einem wächst der Wunsch, auch etwas von diesem tödlichen Formwandler in sich zu tragen. Wer den Werwolfmythos als abergläubisches Gewäsch vergangener Zeiten abzutun gedenkt, möge sich auf die Macht der Symbole und Bilder besinnen, die sich zwar in jeweils zeitgemässer Erscheinungsform präsentieren, dabei aber, ob nun Werwolf, Wolfshund oder Wolverine, sehr viel ältere und tiefer verwurzelte Stimmungs-, Emotions- und Selbstwahrnehmungs-Muster in uns evozieren können. Wir Hundemenschen sind also mittendrin! Und erkennen es noch nicht einmal.
Immer wieder finden sich zum Glück Personen, die Augen öffnen, also aufklären und neue Perspektiven und Erkenntnisse auf die Hunde(menschen)welt ermöglichen. Utz Anhalt ist einer dieser Menschen. Sein wahrhaft umfangreiches Wissen, das sich daraus ergebende vielschichtige Bezugssytem, seine interdisziplinäre Herangehensweise, die damit verbundene Bereitschaft zur Metaebene, zur “Vogelperspektive”, die Erkenntnis, dass man als Wissenschaftler ebenso sich selber und die eigene Beziehung zum System zu verorten und bedenken hat, seine Fähigkeit, Wissen und Informationen trotz aller Komplexität in für den Adressaten hervorragend gouttierbare Worte zu fassen und nicht zu Letzt der Umstand, dass es sich bei ihm wirklich um eine (biografisch erklärbare) Herzensangelegenheit handelt, machen ihn zu einem Canidenmenschen der ganz besondereren Art, vermag er es doch, nicht nur mit seinem Wissen sein Gegenüber zu inspirieren und bereichern, sondern auch durch sein Wirken das kollektive Bewusstsein zum Hund zu erweitern und aktiv und konstruktiv mitzugestalten. In diesem Zusammenhang sei ein Einblick in seine beeindruckende Vita erlaubt:
“Zur Person: Historiker / historischer Anthropologe mit Schwerpunkt Mensch-Tier-Verhältnisse, 1999 Magister über den Werwolfmythos, 2007 Dr. phil über “Tiere und Menschen als Exoten in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos”.
Geb.19.3.1971 in Hannover, Studium Geschichte / Politikwissenschaft (historische und soziale Anthropologie) mit Schwerpunkt indianische Kulturen Nordamerikas, soziale Bewegungen, politische Soziologie der Gewalt, Schamanismusforschung, Geschichte von Mensch und Wildtier, Anthropologie von Wolf und Mensch. Seit 2001 Aufklärung über die Rückkehr des Wolfes, Wolfsbotschafter des NABU, Mitglied der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz.
Wissenschaftliche Mitarbeit in Dokumentationen zu Wolf und Mensch für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1. Wissenschaftliche Beratung der Dokumententation “Puppenjungs” über Fritz Haarmann, dazu Stadtführungen und Lesungen. Freiberufliche Tätigkeit für das Überseemuseum Bremen, als Dozent inner- und außerhalb der Uni, Redakteur der Nautilus - Magazin für Abenteuer & Phantastik für Mystery, Dark fantasy und Horror, verantwortlicher Redakteur und Mitherausgeber der Sopos ( www.sopos.org), Ausstellungspädagogik in der NS Gedenkstätte Israelitische Gartenbauschule Ahlem, freie Tätigkeit für GEO, Psychologie heute, Junge Welt, FAS, Karfunkel - Magazin für erlebbare Geschichte, Miroque, Museum aktuell, Zillo Medieval, Taz, Freitag, Neues Deutschland, Psychologie heute, Compact, Die Vögel, Sitz-Platz-Fuß - Das Hundebookazin, WUFF. Außereuropäische Forschungsreisen zum Mensch-Wildtier-Verhältnis, Schamanismusforschung nach Venezuela, Ostafrika, zu Komantschen, Apatschen und Navajos nach USA / Mexiko, Indien und Thailand.
Derzeit: Seminare zum Schreiben über die Natur; Wolf und Mensch; Tiermythen in der NABU Akademie Gut Sunder.”
So viel zum offiziellen Teil. Doch ein guter, erfolgreicher Wissenschaftler, der nicht nur altes Wissen verwaltet und diesen Kanon innerhalb elitaristisch agierender Zirkel umverteilt, sondern auch wirklich neues Wissen schafft und bestenfalls der Allgemeinheit bis hin zur Allgemeingültigkeit zugänglich macht, also eigentlich ähnlichen mentalen und kreativen Arbeitsprozessen folgt, wie sie normalerweise der Berufsgruppe der bildenden Künstler, Musiker, Schriftsteller und Regisseuren zugeschrieben wird, ist meist der, der, hier sei beispielsweise ein Foucault in die Waagschale geworfen, seine Obsessionen oder Passionen zur Profession gemacht hat, meint, seine Berufung zum Beruf, oder, noch profaner: biografisch entsprechend signifikant geprägt wurde. Das einzige wissenschaftliche Selbst, das man hat, ist das subjektive Selbst. Und damit wollen, müssen wir beginnen!
Utz, wie bist du zu dem Thema “Wolf” gekommen?
Du meinst, wie ich zum Thema “Wolf und Mensch” komme? Ich wuchs als Sohn eines Tierarztes und einer Lehrerin auf -in Freiheit- und war von Haustieren umgeben. Vor der Tür begannen die Felder, der Wald, das Moor - und da waren die Wildtiere. Dieser Wald und dieses Moor sind bis heute meine Kraftorte. Meine Eltern ließen mich meine Fantasie frei entfalten, mein Vater rückte sie wissenschaftlich zurecht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Auf dem Dorf gab es damals keine TÜV-geprüften Spielplätze, und wo heute Einfamilienhäuser stehen, erstreckte sich Brachland - und wenn die Sonne unterging, eine schaurig-schöne Romantik. Ich begeisterte mich für unheimliche Geschichten über Mensch und Tier, Blackwood, Bierce, aber auch Poe und Lovecraft. Ich spielte die Geschichten durch, die ich verschlang: Native Americans, europäische Entdecker, Weltenbummler - Alexander von Humboldt und Crazy Horse. Von meinem Großvater erbten wir Brehms Tierleben. Diese Mischung aus Zoologie und Geschichte, Fakten und Fantasie begeisterte mich - in den Naturwissenschaften fehlte mir das mythische Moment, und ich fühlte mich einem indianischen Zugang zur Welt verbunden. Unser Hund begleitete mich dabei, zuerst hatten wie einen Schnauzer-Pudel-Mischling, dann unseren ersten Golden Retriever. Durch die begriff ich, dass zwischen Mensch und Hund ein kommunikativer Raum entsteht. Der wilde Hund, der Wolf, reiste geistig dabei immer mit. Ohne das damals artikulieren zu können, lehnte ich die abendländische Trennung zwischen Mensch und Tier ab und erfuhr schmerzlich, dass das Lernen von Tieren und die Arbeit mit dem Unbewussten als Spinnerei galten. Mensch-Tier-Verhältnisse sind in den Geisteswissenschaften ein Pionierthema, denn westliche Ideologien basieren darauf, dass der Geist den Menschen dimensional von den Tieren trennt, während vielen Zoologen ein interkultureller Zugang fremd ist. Was ich leidvoll als “zwischen allen Stühlen sitzend” erfuhr, erweist sich als wissenschaftliches Neuland - und in meiner Doktorarbeit brachte ich das auf den Begriff. In meinem Buch “Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch”, das im Herbst bei Cadmos erscheint, konnte ich mich endlich “austoben” - also das schreiben, was hinein gehört und so wie es hinein gehört. Bis heute arbeite ich notwendig interdisziplinär - Erkenntnisse zu Mensch-Tier-Verhältnissen sind nicht von Wissenschaftsspießern zu erwarten, die ihre Scholle verteidigen. Kulturelle Offenheit gehört dazu, und die Bereitschaft, sich selbst zu verändern - und da stehen wir, akademisch ausgedrückt, mitten in einem Paradigmenwechsel. Herzlich ausgedrückt, wird Forschung wieder ein Abenteuer, denn Artenschutz und soziale Emanzipation schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.
Was hat es in diesem Zusammenhang mit dem “Abenteuer” Wolf auf sich? Kaum ein Tier beschäftigt so sehr die Gemüter - und das nicht nur aktuell, sondern schon seit langer Zeit.
In der Angst vor dem bösen Wolf zeigt sich die Angst vor dem Raubtier mit den Händen und dem großen Gehirn, die Bestie, vor der wir uns in uns selbst fürchten. Der böse Wolf ist das Symbol für den Abgrund in uns. Der Wolf repräsentiert wie kein anderes Tier die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Kultur und Wildnis, den Konflikt, den der Mensch in sich trägt - der Mensch, der nicht nur Vernunft, sondern auch Trieb, nicht nur Geist, sondern auch Fleisch ist und mit all seiner Intelligenz ebenso sterblich wie alle anderen Lebewesen. Die Mythen vom Wolf ermöglichen es, die Gesellschaften zu verstehen, die diese Mythen schuf. Auch unsere eigene!
Der Hund, unsere Verbindung zur Anderswelt, nämlich den Tieren, ist ein domestizierter Wolf - ein Wesen auf der Schwelle zwischen Mensch und Tier. Der Wolf steht auf der anderen Seite dieser Grenze als sein wilder Zwilling. Die Schwelle der Lebenssphäre bedeutet im Mythos die Schwelle zur Gefahr. Die Welt außerhalb des Stammeskreises zu betreten, machte unsere Vorfahren „frei wie Wölfe“. Jeder Fremde konnte sie töten.
Laut Aristoteles ist der Mensch das politische Tier. Revierverhalten, Hierarchie oder Unterordnung, Sexualverhalten und das Zusammenleben in Gruppen stammen aus der animalischen Herkunft der Gesellschaft des Menschen. Unsere Kultur hat uns von diesen biologischen Imperativen nicht befreit, sondern sie lediglich transformiert. Der Wolf, dem die indianischen Kulturen strategische Intelligenz zusprachen, erinnert uns an die Wirkmacht der natürlichen Gebote. Denken und töten gehört auch für den „menschlichen Wolf“ zusammen.
„Der Wolf ist tot – er, der im Rigveda der Tod war, welcher die Sterne auffrisst und mit seinem nachtdunklen Maul die Wachtel, Symbol des Lichts verschlingt. Die Wahnfantasien der Menschen ernähren ihn nicht mehr“, meint Henri Gougeaud. Stimmt das? Sigmund Freud sah Ungeheuer als Projektionen verbotener Aggressionen an, sein Schüler Carl Gustav Jung erkannte darin Archetypen des kollektiven Unbewussten. Der Wolf als Traumfigur lässt sich so als Gier infantiler Neurotiker interpretieren, die den Schatten ihrer Psyche nicht in ihre Entwicklung integriert haben und ihre soziale Umwelt „auffressen“. Warum aber gerade Wölfe im Traumbild, in der Psychoanalyse oder in der Ekstase erscheinen, lässt sich aus der natürlichen Umwelt erklären: Das Bild des Tieres, das Menschen frisst geht einher mit dem Bestreben, von der Beute zum Jäger zu werden. Das verschlingende Maul als Urbild des Horrors, als letztes, was ein Mensch vor seinem Tod sieht, floss in die Mythen ein. Einen Tötungstrieb im Menschen erkennt Baring-Gould im Mythos vom Wolfsmenschen. Der Mensch ist auch ein Raubtier, so der Historiker, und diese Instinkte schlummerten in uns.
Du stellst diesbezüglich Zusammenhänge auf zwischen Wolf, Schamanismus und moderen Diagnostiken wie dem Borderline-Syndrom.
Vorstellungen von Tierverwandlungen haben sehr viel mit psychischen Ausnahmezuständen zu tun. Borderliner, mutiple Persönlichkeiten und Posttraumatisierte dissoziieren, spalten ab, fühlen sich, als ob etwas anderes von ihnen Besitz ergreift, ihre
Körperwahrnehmung verändert sich. Die Reise des Schamanen, der in Form seines
Seelentieres in die unsichtbare Welt reist, muss ihnen niemand erklären - mit dem
Unterschied, dass der Schamane die rationale Kontrolle im Rucksack behält. Borderliner
stoßen oft von selbst auf das psychische Symbol des Werwolfs, weil er ihnen
entspricht.
Doch welche „Raubtierinstinkte“ sind dabei so bedrohlich? Eine entlarvende Antwort gibt Mark Rowlands: „Die Bosheit der menschlichen Affen ist in ihrer Erzeugung von Hilflosigkeit zu finden. Dadurch schaffen menschliche Affen die Möglichkeit ihres eigenen Bösen.“ Das wilde Tier ist das Tier, das den Menschen nicht braucht. Der Mensch braucht seine Kultur; und er züchtete die Tiere daraufhin, sie ebenfalls zu brauchen. „Kinder sind von Natur aus hilflos, doch Hunde sind dazu gemacht worden“, denkt Rowlands. Das Böse des Menschen zeige sich demnach darin, bewusst Schwäche herzustellen: „Wir nehmen Wölfe und machen sie zu Hunden. Wir nehmen Büffel und machen sie zu Kühen. Wir schwächen Dinge, damit wir sie benutzen können.“ Der wilde Wolf jedoch braucht weder den Menschen noch seine Kultur. Das allein macht ihn unheimlich und zugleich zur Figur menschlicher Sehnsucht.
Wie würdest du den aktuellen status quo vom Wolf und seinen hundlichen Ableitungen in unserer Gesellschaft beschreiben?
Hunde sind vom Gebrauchstier zur sozialen Identität geworden. Wir halten Golden Retrierver nicht, um Boote an Land zu ziehen, sondern, weil sie schön und lieb sind und wir jagen mit Rhodesian Ridgebacks keine Löwen, sondern erweitern unser Ego als Sportler. In einer Gesellschaft von orientierungslosen Singles binden wir Hunde in unserer Patchwork ein und suchen uns den “uns entsprechenden Hund” - und wissen dabei immer weniger über sein Verhalten: Eltern finden es normal, wenn ihre Kinder an fremden Hunden herumtatschen, und wenn der Hund gesunde Aggression zeigt, ist er eine Bestie. Das kann zwar gut gehen, ein Labrador apportiert nicht nur Enten, sondern ist ein ausgezeichneter Familienhund. Ein Marremanno aber, der seine Herde hütet, sieht zwar aus wie ein riesiger Golden Retriever, verhält sich aber nicht so, und wenn Menschen in seine Herde eindringen und diesen süßen Hund streicheln, beißt er am Ende zu.
Und beim Wolf? Ich zitiere mich selbst: Die Bilder vom Wolf sind in der Kulturgeschichte überliefert – ältere Menschen wuchsen auf mit dem Wolf als Bestie. Das Gegenbild ist eher bei Jüngeren verbreitet: Statt Angst vor dem Waldräuber zeigt sich Begeisterung. Diese „Wolfsfreunde“ sehen im Wolf die Heilung der geschändeten Natur. Wirkliche Erfahrung mit frei lebenden Wölfen hat kaum jemand und trotzdem ist der Wolf niemand gleich gültig. Das kulturelle Gedächtnis schlummert im kollektiven Unbewussten. Geschichte wird Gegenwart; der Wolf kehrt zurück und mit ihm die Irrungen und Wirrungen des europäischen Verhältnisses zur Natur. Das Gemälde von Meister Isegrimm droht atavistisch als Ungeheuer, es glänzt heroisch als Herrscher über die Beute, und es schillert romantisch als edler Wilder. Realistisch ist es hierzulande jedoch fast nie. Wir Wolfsschützer können an das romantische Bild anknüpfen, weil es zwar verzerrt, aber positiv ist. Dann geht es aber darum, über das wirkliche Verhalten des Wolfes aufzuklären und zu zeigen, wie sich die Konflikte mit ihm lösen lassen. Wenn wir das nicht tun, wird der edle Wilde nämlich ganz schnell zum Ungeheuer, wenn er den ersten Rauhaardackel tötet, der in seinem Revier herumläuft.
Bemerkenswert finde ich ja den immer wiederkehrenden Gegensatz “Domestiktion/Schwäche herstellen/fortwährende Denaturalisierung des Objekts” auf der einen Seite, dem gegenüber steht eine Mystifizierung und kultische Überhöhung, der Hype, z B via Werwolfmotiven in Filmen, aber auch durch verklärend-idealisierende Romantizismen z B in der Tierschutzszene oder in spirituellen Strömungen. Bezeichnend für das Auseinanderdriften der Bezüglichkeiten des im Postkapitalismus orientierungslos darbenden Menschen, der, statt im Diskurs ethische Werte und Umgangsformen zu entwickeln, nur noch auf plakative, egozentrierte Inszenierungen seiner Person und “Mag ich/Mag ich nicht”-Bewertungssysteme reduziert, um nicht zu sagen: dazu verdammt ist - wobei das Abbild der Wirklichkeit dazu noch sträflich vereinfacht wird. Ausdruck eines kollektiven Borderline-Systemabsturzes der Gesellschaft?
Wir leben nicht im Postkapitalismus, sondern im sich selbst fressenden Spätkapitalismus: Die Menschen sind gezwungen, sich immer wieder neu zu prostituieren, ihre Identität „marktgerecht“ auszutauschen; soziale Bindungen zerbrechen – innere Leere und Unsicherheit sind die Folge. Borderliner, also Menschen mit einem zersplitterten Selbst, sind die psychische Störung unserer Zeit. Darum ist die Sehnsucht nach vermeintlicher Natürlichkeit groß: Mittelaltermärkte imaginieren eine überschaubare Welt. Naturnahe Hunde dienen ebenso dazu, die Entfremdung aufzubrechen. Nur sind diese Tiere keine Fantasy und Haltungsfehler vorprogrammiert – während der der richtige Umgang irritiert: Bei einem Bekannten von mir stand der Tierschutzverein vor der Tür, weil Anwohner Alarm schlugen, dass seine Hunde verwahrlosen. Die „armen Hunde“, zwei Kangals, leben nämlich (genau richtig) auf einem (sehr) großen Grundstück mit Hütte das ganze Jahr draußen.
Zum Umgang mit dem Wolfshype: Den begrüße ich prinzipiell, denn die Begeisterung kann ein reflektiertes Miteinander eröffnen. Wir „Wolfsleute“ profitieren für unsere Bildungsarbeit von zwölf Jahren Erfahrung in der Lausitz, und sind in den westlichen Bundesländern somit gut auf den Wolf vorbereitet – wir haben erfolgreiche Modelle für Herdenschutz, den Umgang mit Ängsten und Angstmachern, bevor sich Wölfe fest ansiedeln.
Richtiger Umgang mit dem Hype heißt erstens Aufklärung und zweites Schulung, dann verlieren die Angstmacher, die ihren Rassismus auf den Wolf projizieren, den Boden unter den Füßen. Erstens also Aufklärung darüber, warum die Bilder vom Wolf viel über uns aussagen und kaum über den Wolf und zweitens den Wind aus den Segeln nehmen, also die Konflikte benennen und Lösungen zeigen. Drittens sollten wir mit dem Wolf einen Pflock einschlagen für eine fortschrittliche Politik, die Natur und Kultur zusammen denkt: Der deutsche Naturschutz krankte an einer christlichen Apokalyptik, einer Schuld und Sühne Hybris und dem damit verbundenen Schutz „unberührter Paradiese“. Dieses falsche Bewusstsein führte zum Niedergang vieler Tierarten, vor allem Reptilien und Amphibien, die in den „Wunden der Landschaft“, also unbegrünten Autobahnhängen oder Bergbaugruben ihren Lebensraum fanden. Unberührte Wildnis gibt es in Mitteleuropa nicht; der Wolf ist hingegen das Paradebeispiel dafür, dass auch große Beutegreifer in einer Kulturlandschaft gedeihen: Naturkorridoren gehört die Zukunft – Großstädte bieten ein riesiges Potenzial für Biotope auf Häuserdächern, durch Guerilla Gardening etc.
Ich bringe mich über den Wolf ein, wo es nur geht, zum Beispiel bei Schulungen und Lehrerfortbildungen, denn 15jährige Wolfsbegeisterte, die das Know-How lernen, sind in zehn Jahren, wenn wir eine stabile Wolfspopulation haben, die Fachleute, die wir brauchen. Leider ist es beim Wolf ebenso wie sonst in der Bürokratie auch: Diejenigen, die seit das erste Rudel kam Erfahrung im Wolfsschutz sammelten, werden viel zuwenig in die staatlichen Bildungskonzepte einbezogen. Gerade flatterte mir eine pädagogische Broschüre zu, in der ein Tundrawolf Kindern vermittelt, wie wichtig es ist, die Wälder zu schützen. In der Tundra gibt es keine Wälder, und der Wolf war ein Opfer menschlicher Ausrottung und nicht des Verlustes von Lebensraum. Solche Fehler lassen sich vermeiden, wenn diejenigen, die zum Wolf arbeiten, über ihn aufklären.
In dem Zusammenhang: es wird derzeit viel über den Einsatz von Herdenschutzhunden in unseren Breitengraden nachgedacht. Inwieweit hälst Du dies hierzulande für sinnvoll? Sind die Flächen dafür nicht zu klein?
Herdenschutzhunde sind die beste Möglichkeit, verbunden mit Zäunen, um Schafsrisse durch Wölfe zu minimieren. Wölfe erbeuten, was sie am einfachsten kriegen und in ihr Beuteschema passt, hier sind das zumeist Rehe – angepflockte Schafe ohne Schutz sind aber ein gefundenes Fressen. In Deutschland werden Maremmanos und Pyrenäen-Herdenschutzhunde eingesetzt, da die menschenfreundlich sind. Ebenso wie das harte Leben der Schäfer mit einer Hermann Löns Idylle nichts zu tun hatte, arbeiten Hunde in Herden jedoch nicht in Disneyland, sondern im professionellen Weideland der Hirten. „(Sie) nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Das müssen auch Wanderer und Biker respektieren“, erörtert die Zeitung „Schweizer Bauer“. Touristen und Natursportler haben die Regeln im Schafland einzuhalten, so wie ich nicht auf der Autobahn rückwärts fahre.
Eine systematische Ausbildung von „touristenfreundlichen“ Hunden könnte in Deutschland solche Probleme mindern. Dazu gehört auch Schulung der Schäfer. Schlecht gehaltene und missbrauchte Hunde können für Menschen zur Gefahr werden; was für alle Hunde gilt, gilt besonders für die großen und starken Schafschützer. Reinhard Schnidrig vom Schweizer Bundesamt für Umwelt sagt: „Ohne Herdenschutz geht das Zusammenleben mit Wölfen und Bären nicht.“ Recht hat er. Ohne Aufklärung geht das Zusammenleben von Touristen und Hirtenhunden nicht, ließe sich ergänzen.
In der Lausitz bewährt sich eine mobile Einsatztruppe. Von Wölfen bedrohte Viehhalter können zwei Pyrenäenberghunde, Ben und Carlos, und ihren Ausbilder, Frank Neumann, anfordern, um die Herden zu schützen. Seit die Wölfe 2001 nach Deutschland zurückkehrten, leiteten Naturschützer und Behörden ein Wolfsmanagement ein.
Der Verein Naturpark Lüneburger Heide lehnt Herdenschutzhunde jedoch ab. Die Beißunfälle in Frankreich seien zu viele und schlechte Presse könne sich die Touristenregion nicht leisten. Schafzüchter werfen zudem ein, dass die Heidschnucken tagsüber vom Hirten betreut werden und nachts im Stall schlafen. Sie bewerten deshalb das Risiko von Wolfsangriffen als minimal.
Trotz aller Aufklärung steigt das Interesse an Wolfs-Hybriden und in der Folge an totgeglaubte Versuchsanordnungen wie den Tschech. Wolfshund, der gerade sein, entschuldige diesen Begriff aus dem Marketing,”Comeback” erfährt. Zwar komplett domestiziert und weitestgehend”entwolft”, haben sie für ein bestimmtes Segment der Halter, so zumindest nehme ich es wahr, definitiv die Funktion, für ihren Besitzer Stärke,
Naturverbundenheit/Archaik, Gefährlichkeit usw zu attributieren… bleiben
diese Hunde also im weitesten Sinne narzisstische Erweiterungen? Sind sie
Instrumentarium/Medium für eine der Zeit angepassten Variante von
lykanthropischem Denken? An dieser Stelle muss man sich ja grundsätzlich die Frage stellen, inwieweit Hunde für bestimmte Personengruppen Erfüllungsgehilfen dieser Selbstaufwerungs- und Abgrenzungsmechanismen sind, sei es der Kangalhype oder der Kult um andere Herdenschutzhunde, natürlich die nicht nur in all den Halb- und Unterwelten, sondern auch in bürgerlichen Kontexten geschätzten Pitbullvarietäten, dazu international hoch gehandelte Molossoide wie der Fila Brasiliero, der derzeitige “Drogenbaronliebling” und immer neue zu diesem Zweck designte, auf den Markt drängende, zum Glück meist sehr kurzlebige”Kunstrassen” (wenn diese Begrifflichkeit mal nicht pleonastisch angehaucht ist), deren Zucht zum Glück meist schon wieder versandet ist, bevor der Antrag auf Aufnahme ins Lukrativität generierende Rasseregister überhaupt beim FCI o ä im Briefkasten gelandet ist. In dieser Tradition wähne ich auch frühere “Grenzwächter” wie den Dobermann und den Deutschen Schäferhund, den z B von Horst Stern so trefflich sprachlich fixierten “Reissern am Strick” der Siebziger Jahre, die, auf piefigen, zwischen Fabrik und Schrebergarten gelegenen Hundeplätzen mit deutscher Gründlichkeit ordnungsgemäß nach “Rassestandard” auf Mißtrauen gegen Fremde, also “Fremdenfeindlichkeit” gedrillt, den damaligen “Gastarbeitern” und ihren Familien jegliche Möglichkeit zur Annäherung an des Deutschen liebsten Kind, den Hund, (und damit an den Halter selbst!) im Keim erstickten.
Zur Hybridenszene: Ich denke nicht, dass es eine regelrechte Hybridenszene gibt – für privat gekreuzte Wolfshybriden bräuchte man einen Wolf, und den zu bekommen, ist in Deutschland legal nicht möglich und illegal extrem schwer. Hybrid bedeutet also meist tschechoslowakischer Wolfshund. Der ist aber, Gott sei Dank, kein 50% Mischling, sondern eine klar umrissene Rasse; vor allem ein Hund, in den vor 30 Jahren das letzte Mal ein Wolf eingekreuzt wurde – er wurde nicht von Wolfsromantikern gezüchtet, sondern als Gebrauchshund zum Sichern der Grenze in Ostblockzeiten. Er ist ein sicherer Fährtenleser, sehr ausdauernd und sehr intelligent. Seine Ausbildung ist genau deshalb schwieriger als bei „klassischen“ Diensthunden, denn, wenn er seine Fähigkeiten nicht umsetzt, wird er unleidlich. Das führte, zum Glück möchte ich sagen, dazu, dass es bisher wenig Dumping-Zuchten gibt: Der für Großstädte gezüchtete Pitbull lässt sich ohne Probleme von großstädtischen Kriminellen züchten, der Wolfshund nicht.
Ob es sinnvoll ist, ihn zu halten? Ja, es sind tolle und „naturnahe“ Hunde, keine Krüppelzüchtungen wie Möpse. Es gilt das gleiche wie bei anderen „wolfsähnlichen“ Hunden, zum Beispiel Schlittenhunden: Kynologische Erfahrung, ein Beruf und – vor allem eine Lebensstruktur - die dem Wolfshund Zeit und Raum bietet, dazu Agility-Training. Ich selbst mag diese Hunde sehr gerne, habe mich aber auch bei einem wundervollen Husky-Rüden dagegen entschieden, ihn in meiner Stadtwohnung zu halten. Stattdessen teile ich die mit einer Kartäuser-Katze.
Der tschechische Wolfshund wurde ursprünglich als Arbeitshund gezüchtet, heute kommt er aber in Mode, weil er so aussieht wie ein Wolf - klar ist das lykanthropisches Denken, nur kreist es um die eigene Identität und verzerrt den wirklichen Wolf(hund). Ich denke, bei dieser Mode spielt weniger Machismo eine Rolle als das romantische Wolfsbild, eben Naturverbundenheit und Archaik.
Auch dieses exotistische Bild vom Wolf führt beim Wolfshund zu Problemen, denn diese Hunde sind nichts für Anfänger. Sie verhalten sich ausgesprochen “wölfisch”: Sie haben ihren eigenen Kopf, erkennen Spannungen in ihrem Menschenrudel und sichern sich ihre Stellung darin, sie lernen, wenn sie es für sinnvoll ansehen, sind also weniger welpenhaft als andere Hunde. Auf Strafen reagieren sie sehr sensibel, ziehen sich zurück und wehren sich, wenn sie schlecht behandelt werden. Der Wolfshund hat einen starken Jagdtrieb und braucht Bewegung.
Als narzisstische Erweiterung für autoritäre Charaktere ist er denkbar ungeeignet. Ihn zu einem willenlosen Beißwerkzeug zu machen wie den deutschen Schäferhund der Nazis gelingt nicht - menschenscheue Verhaltenskrüppel wären die Folge der traditionellen Schäferhundabrichtung. In den Niederlanden war es Mode bei Gewaltkriminellen, Wölfe zu halten: Die Notstationen quollen bald über, denn die Tiere verhielten sich wie Wölfe. Sie wurden keine Bestien auf Befehl, sondern versteckten sich und waren in den Augen der Abrichter “feige”. Beim Kangal kann die narzisstische Erweiterung gefährlich werden: Kangals sind Herdenschützer. Sie schützen eigenständig das Vieh vor Wölfen, Bären und menschlichen Räubern, und sie selbst entscheiden, wann jemand eine Bedrohung darstellt. Sie brauchen viel Raum und eine sensible Erziehung, dann können sie zu wunderbaren Gefährten werden. Derzeit ist der Kangal ein Statussymbol bei jungen nationalistischen Türken, um ihre Männlichkeit zu beweisen; in Hannover hielt einer sechs scharfe Kangals in einem Hinterhof - unter erbärmlichen Bedingungen. Ein Hund mit dieser Stärke, Eigensinn und Schutztrieb wird bei solcher seelischer Vergewaltigung zu einer unkontrollierbaren Waffe. Beim Fila Brasileiro gilt das nicht minder; der wurde für Sklavenjagden gezüchtet und selbst erfahrene Halter sollten im Umgang mit Kindern vorsichtig sein. Generell ist aber nie die Rasse, sondern der Halter das Problem. Beim Pitbull kommt dazu, dass er, wie alle Terrier, nicht ablässt, wenn er an der Beute dran ist und dazu eine große Biss-Stärke hat. Allerdings: Ein Bekannter von mir arbeitete auf dem Höhepunkt der “Kampfhunde”-Hysterie im Tierheim und war stinksauer auf die Medien. Sein Tierheim quoll über vor Pitbulls, genau denen, die mit kupierten Ohren und geöffnetem Maul in der Schmierpresse zu sehen waren. Er sagte: “Neun von zehn Pitbulls geben die Zuhälter hier ab, weil sie die Performance nicht bestanden haben.” Die angeblichen Bestien kamen ins Tierheim, weil es nicht gelang, sie auf Menschen abzurichten.
Durch den Mißbrauch dieser Hunde wurde unsere Gesellschaft offenbar noch tiefer in canidophile und canidophobe Lager gespalten. Gibt es auch lykophile und lykophobe Entwicklungsstränge in Gesellschaften? Warum wird in einer Region der Wolf gejagt, in der nächsten wird ihm gehuldigt?
Das Bild vom Wolf war in allen Gesellschaften zweiseitig, auch bei denen, die ihn verehrten. Denn der Wolf, und später der Hund, kooperierten mit dem Menschen, der Mensch profitierte von seiner Beute - er konnte den Menschen aber auch töten. Die Bilder vom Wolf änderten sich mit der Lebensweise: Für die frühen Jäger war er ihr erster Lehrer, für die Viehzüchter aber der Räuber der Herden. Hirten sahen den Wolf als Feind - das ist für uns extrem wichtig, weil das Christentum eine Religion von Wüstenhirten ist. Gott ist der Hirte, Jesus das Opferlamm, und der Wolf ist der Teufel. Dieses Denken ist im Abendland tief verwurzelt. Nordamerikanische Kulturen domestizierten hingegen außer dem Hund nur den Truthahn, diese Maisbauern, Fischer und Jäger standen also nicht im Konflikt um ihre Schafe und Ziegen, sondern verehrten die sozialen Fähigkeiten von Canis Lupus. Als die Navajos Schafe züchteten, wurden sie folgerichtig zu Wolfshassern.
Der Wolf ist vor allem eine Projektionsfläche, und das Feindbild Wolf dient dem gleichen Zweck wie rassistische und faschistische Stereotypen von Menschengruppen: Angst zu erzeugen und sich den Angsthabern gleichzeitig als deren Überwinder zu präsentieren, war nämlich seit jeher das Geheimnis der Herrschaft. „Lieber ließe der Angsthaber alles und jeden zum Teufel gehen, bevor er es wagte, die Ursache seiner Angst in sich selbst statt in den anderen zu suchen“, so Kay Sokolowsky. Tiermenschliche Fantasieungeheuer – Männer, die als Werwölfe auf den Scheiterhäufen brannten - boten dem Pöbel einen jämmerlichen Ersatz dafür, die sozialen Verhältnisse zu ändern. Gefährlich ist der Wolf in unserem Unbewussten und wir werden durch die dort schlummernden Schreckensbilder zur Gefahr für den Wolf. Wolf und Mensch können Seite an Seite leben, wenn wir es zulassen.
Aber wie soll der Mensch einen gesunden Umgang mit dem Wolf finden, wenn es aufgrund von Entfremdung und Hyperkultivierung vermehrt zwischen Hund und Mensch kriselt? Kann es sie überhaupt (noch) geben, die ideale Welt für Mensch und Hund?
Bei einem idealen Verhältnis von Mensch und Hund wird meist die Gesellschaft vergessen; Mensch-Tier-Verhältnisse sind Herrschaftsverhältnisse und unsere Begriffe davon getränkt. Eine ideale Welt für Mensch und Hund gibt es nicht: die menschlichen Individuen sind ebenso unterschiedlich wie die einzelnen Hunde. Es wird immer Menschen geben, die Hunde nicht mögen. Ein Fortschritt wäre es, wenn sich Mensch und Hund in ihren Fähigkeiten entfalten – Hunde gehen mit uns eine Bindung ein, die erst mit dem Tod endet. Das setzt aber für Menschen ein würdiges Leben voraus, Sicherheit der Arbeit, Sicherheit der Wohnung, Freiheit von Ausbeutung und Freiraum für soziale Beziehungen; die heutige Situation ist das Gegenteil – ein Hund ist wie ein Kind ein Karriereproblem. Für die Hunde wäre es ein erster Schritt, Räume zu schaffen, in denen sie Hund sein können – ähnlich wie FKK-Strände, also Parks, wo ein Hund, der auf ein Kind zuläuft, nicht die Polizei auf den Plan ruft. Vielleicht auch subventionierte Hundehöfe analog zu Kindergärten, wo Berufstätige ihre Hunde unterbringen statt sie abgeben zu müssen. Dagegen steht, dass Hunde zu halten, eine Privatsache ist – das ist Kinder kriegen aber auch, und Hunde gehören zur Familie. Öffentliche Schulen für Hunde? Warum nicht?