Der Teich
„[...] Je nach der Psyche des Träumers ist es möglich, dass er im Traum eine Sprache spricht, die ganz besonders raffiniert verschlüsselt ist und der man nur schwer auf den Grund kommen kann. [...]“
Hanns Kurth, So deute ich meine Träume
Arnold ging auf einem Teich, ging, wandelte, wanderte, doch er sank nicht ein, er wollte einsinken, kühles Wasser unter sich spüren, wie die Russen, die nackten Russen in ihren Eislöchern. Er sank nicht, kein Naß umspülte ihn, so umschloß ihn Wasser, seinen Geist setzte er vor seine Füße, im Wasser aber lag ein Loch, ein Wasserloch wie die schwarze Fruchtblase einer verwesenden Mutter.
Er ging hinein, er sprang hinein, tauchte Meter um Meter, zehn Meter, hundert Meter tief, so tief, dass um ihn herum Fische schwammen, die leuchteten wie Laternen mit großen Mäulern und skalpellartigen Zähnen und riesige dunkelblaue Tintenfische, die Augen groß wie Teller. Doch er ließ sich nicht abbringen und tauchte weiter. Der Druck auf seine Schädeldecke nahm zu, erreichte den Klimax, sein Kopf begann zu platzen. So schien es, dann tauchte er tiefer, ohne den Grund zu erreichen, vorbei an blühenden Korallengärten, vorbei an Tiefseekrabben mit mannsgroßen Scheren, vorbei an den Geschöpfen dieser nassen Dunkelheit, tauchte, tauchte, tauchte.
Endlich nahm der Druck ab, löste sich auf und Arnold konnte frei atmen, Wasser atmen, Flüssigkeit atmen, nein, nicht mehr atmen. Was war geschehen? Er war doch nicht tot und dennoch: Er atmete nicht mehr. Arnold sah alles um sich herum in der tiefsten Nacht, so klar und scharf umrissen wie wohl nie zuvor im Leben.
Dann erblickte er tief unter sich etwas wie ein Bauwerk, ein Bauwerk aus Metall oder aus Stein, vielleicht auch aus einer Mischung von beiden. Burgen, Paläste, Felsen, er wußte nicht, wie er das alles benennen sollte, ein Bauwerk schien in grünes Licht getaucht, so tief unten in diesem Meer, so tief im Meer eingebettet, soviel älter als dieses Meer, es strahlte unten im Wasser im Schein einer Heiligen, dort unten in der Tiefe.
Sanft tauchte ein Wissen in ihn ein. Diese Stadt, Meerkernwesen nannte er das da unten, war niemals erbaut worden, sondern sie hatte erbaut, geschaffen, dieses Muttermal des Meeres baute und erschuf, erschien als Hermaphrodit des Weltenbaus, so schien sie ihm, während er um sie herumschwamm.
Kein Eingang, kein Fenster, keine Pforte, kein Einlaß in diesem Kolosseum längst vergessener Kraftformen, allein der Erbauer fehlte, denn dies da war aus sich selbst entstanden. Nichts Anderes. Nur schwarzes Wasser in Bergen, Schicht um Schicht um das Monument herum, Schicht um Schicht, Druckschichten aus Wasserbergen. Die Substanz des monolithischen Giganteums war ihm nur durch Analogien faßbar, Ähnlichkeit zu porösem Basalt, aber härter, Granit, doch glatter, Obsidian, doch ohne Schärfe, glattschwarzes Glas. Dies alles enthielt das Werk und doch auch etwas vollkommen Fremdes, dass totgedacht worden war, totgeglaubt erschien. Aus den Äonen uralt ertrunkener Geister stand es klar und fest umrissen.
Diese Stadt, dieser in einem Block ruhende Koloß, hatte schon Zeitalter um Zeitalter gestanden bevor das Meer sich schuf, bevor es das Meer überhaupt gegeben hatte. Das Meer. Arnold floß, sein Körper floß in alle Richtungen, floß durch Flüssigkeiten, Zeiten und Vergänglichkeiten. Durch alle Zeiten.
Aber dort, diese Welt, dieses Nichts dort unter der Stadt, das blaue Licht, so blau, so glühend, wie ein Triton, wie Schweben, wie Nichts, nur blau, unter dem Bauwerk, im Tempel, im Bauch, nur eine Ätherflocke, keine Bewegung, Schwerelosigkeit, ein versunkenes Meer, die Augen fehlen, wie in Blau. Arnold war ein Schwimmer, ohne Bewegung. Das war es.
Er trat unten aus dieser Welt hinaus, im Nichts formten sich Blasen aus dem Chaos, Kugellasen bildeten Formen. Er schwamm außen um seinen Schwebekörper herum, doch als Materie stand er außerhalb der Zeit, er schwebte, ohne seinen Körper zu sehen, er tauchte und schwebte im Blau, im Blau der Unendlichkeit erkannte er keine Bewegung mehr, nur seinen freien Flug. Er war nicht mehr nur Körper, sah seinen Kopf in Blau gehüllt, im Raum schwebend spielte ein Teddybär ein Wiegenlied. Arnold blickte auf sich hinunter, er war aufgelöst in der Stille, im Blau. Doch dann hörte Arnold die Uhr an der Wand. Sie tickte