Das Albert Dock

Malcolm wanderte durch die alten Straßen am Albert Dock. An diesen Tagen schien in Liverpool nichts zu existieren. Die Sonne war zwischen Regenwolken nachmittags noch nicht erschienen. Menschgesichter wirkten wie betrunkene Wesen aus toten Welten. Er dachte daran, wie Afrikaner gezwungen worden waren, in einen langsamen Tod, zu Tausenden an diesen Docks. An diesen Docks wanderte er. Die Luft blies in Trauer. Der Tag würde so bleiben in einer Gegend der Trauer. Malcolm wanderte im Nirgendwo, wo es dunkel ist und man unerreichbar bleibt.

Ein Sirren klang ihm in den Ohren. Dieses Sirren, das aus Nebelschlieren kam. Fremd war es ihm nicht. Das Sirren nahm die Gestalt von Stimmen an. Es rauschte wie ein Röhren von Tieren. Der Nebel verdichtete sich. Rasten Züge durch die Nacht, Lokomotiven, Eisenbahnen? Zogen Züge durch die Nebel, die Nebel am Hafen? Warum vibrierte der Boden? Malcolm nahm dies hin, denn er hatte merkwürdige Dinge erlebt, im Hafenviertel von Liverpool. Vom Wasser trat der Nebel nun durch die Hafendocks. Der Nebel fraß sich aus der Trübheit der Hafenbecken. Das andere Ufer des River Mersey war draußen, vom Nebel verschlungen. Malcolm wollte dorthin. Hatte er den Weg verloren? Und war es möglich, dass er ihn niemals wiederfinden würde? Der Nebel wallte auf, zog in Schlieren, verzog sich, löste sich auf, fiel zusammen, um sich erneut zusammenzusetzen. Da im Nebel, waren das Schatten? Wühlten Schatten sich auf? Wogten Schatten in den Mersey hinein? Verschwanden Schatten im Fluss? Oder wühlte Anderes, wogte Anderes, verzog sich Anderes, verschwand Anderes im Mersey? Die Wellen brachen sich an den Hafenkais. Die Wellen blieben an der Oberfläche des Wassers. Die Wellen zuckten in Zickzackmustern. Die Regenwolken vibrierten. Die Wellen formten Wirbel im Nebel.

Malcolm schlotterte, dies Schlottern gebar nicht die Kälte, sondern die Vergangenheit. Er erschrak: Das waren Kinder. Kinder mit schwarzer Hautfarbe trieben im Nebel hin und her. Kinder weinten. Schwarze Kinder hatten sich in Hautgewänder gekleidet. Alte Häute füllten Augenhöhlen mit Wasser, Höhlen, die seit Jahrhunderten keine Tränen kannten. Ein Whispern stieg aus dem Wasser hervor: „ Hilf uns!“ rauschte es aus den Wellen. „ Hilf uns!“

Kinderaugen tranken Nebel. Malcolm zitterte. Malcolm wankte im Nebel. Der Nebel verschmolz. Nebel verschmolz mit Malcolm, Augen wanderten durch ein Meer aus Nebel und Kinderseelen. Kinderschemen sangen ein Trauerlied in den Nebel. Ketten fielen in die Fluten, platschten in den Fluß. Das Ufer war weit entfernt. Die Kinder krochen an Wände im Hafenbecken. Die Nebelkinder verschwanden. Solche toten Augen wiegten in der Wasserwüste hin und her, die Nebelwand schaukelte sie wie eine Hebamme. Malcolm weinte. Er konnte den Kindern nicht helfen, sie waren vor hunderten von Jahren gestorben. Malcolms Augen, Malcolms Tränen wurden eins mit dem Nebel. Die armen Kinder, als Kinder von Sklaven auf die Welt gekommen, die Kinder, Sklaverei hatte Kinder verbraucht, hatte Kinder getötet.

Ein Schiff taumelte im Nebelwasser des River Mersey trieb ein Schiff. Die Kinder schrien zwischen den Nebelwänden, Peitschen zischten, Haut klatschte, Füße schlurften, Ketten rasselten, Kinder weinten, und Malcolm weinte um sie. Die Kinder weinten, die Sklavenkinder weinten. Ein Echo erklang von der anderen Seite. „ Ferry, cross the Mersey,“ so sang es aus dem Sklavennebel. Das Echo schlug Malcolm ins Gesicht, das Echo. Malcolm blickte in die toten Augen schwarzer Kinder. „ Ferry, cross the Mersey!“ Fallende Blätter flogen auf Malcolms Haut. Tote Haut trieb den Regen in die Straßen. Im Liverpool Museum fand eine Ausstellung über die Sklaverei statt. Eine Leiche trieb im Hafenbecken.

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Historiker, Dozent, Publizist