Zyklopen und Zwerg-Elefanten

Zyklopen und Zwerg-Elefanten

Der Zyklop ist der einäugige Riese der griechischen Mythologie, ein Wesen von unbändiger Kraft. Ursprünglich gab es drei von ihnen, Kinder der Erdmutter Gaia und des Himmelsgottes Uranos. Zeus brachten sie den Blitz und den Donner; sie waren die Urväter der Schmiedekunst – spätere Mythen siedeln die Zyklopen im Inneren von Vulkanen an, wo sie den Göttern Waffen schmiedeten. Sie bauten auch Festungen, die als uneinnehmbar galten, eine antike Erklärung für die hoch entwickelte Architektur Mykenes. Die archaische Bautechnik der Frühgeschichte, der Jungsteinzeit, trägt heute den Namen Zyklopentechnik – dabei wurden große Steinblöcke aufeinander geschichtet, so, als ob Riesen sie dorthin getragen hätten.

Odysseus und Polyphem

Die bekanntesten Zyklopen begegnen uns in der Odyssee von Homer. Riesen verkörpern die unbändige Naturgewalt. Der Zyklop in der Odysee lebt in Höhlen auf einer Insel, die häufig als Sizilien interpretiert wurde. Er hat ein einziges Auge auf der Stirn, wie sein Name besagt: Das griechische Wort Kyklops bedeutet Kreisauge. Odysseus war König von Ithaka, kämpfte bei der Belagerung von Troja auf griechischer Seite: Erst nach einer langen Irrfahrt, der Odyssee und vielen Abenteuern, kehrt Odysseus nach Ithaka zurück. Odysseus Mannschaft landet auf einer Zyklopen-Insel. Die einäugigen Riesen hüten Schafe, ihre Lieblingsspeise allerdings ist Menschenfleisch. Der Zyklop Polyphem nimmt sie gefangen, um sie zu verspeisen. Odysseus macht ihn mit Wein betrunken, dann sticht er dem Riesen mit einem Olivenzweig das Auge aus. Odysseus blendet Polyphem – zuvor sagte er dem Riesen, das sein Name Niemand sei. Polyphem taumelt blind herum und brüllt: „Niemand hat mich geblendet.“ Die anderen Zyklopen suchen niemand, denn sie wissen nicht, wen sie suchen sollen - Odysseus und den Seinen gelingt die Flucht; sie binden sich unter dem Bauch des größten Widders aus Polyphems Herde fest und gelangen so unbemerkt zum Schiff zurück..

Missbildungen

Es gibt Missbildungen, die den Zyklopen-Mythos befruchtet haben könnten, und die heute in der Berliner Charite zu sehen sind, Neugeborene mit nur einem Auge. Ihre Bedeutung für die griechische Sagenwelt scheint jedoch nicht groß gewesen zu sein. Wie viele andere Figuren der Mythologie, gaben auch die Zyklopen den Namen für ein medizinisches Phänomen: Die Nymphen erkennen wir in der Nymphomanie, Narziss im Narzissmus, Ödipus im Ödipuskomplex und den Zyklopen in der „Zyklopie“. Die bezeichnet eine Verschmelzung beider Augenhöhlen und beider Augäpfel im Bereich der Nasenwurzel. Der französische Naturwissenschaftler Geoffrey Saint-Hillaire hatte das Phänomen 1836 zuerst als „cyclocephalie“ bezeichnet.

Zwergelefanten

Fabelwesen haben oft einen Ansatzpunkt in der Realität, zum Beispiel sind sie Erklärungen für Naturphänomene. Die Ureinwohner Sibiriens hielten die Mammutkadaver im Permafrostboden für Riesenmaulwürfe, die unterirdisch leben und sterben, sobald sie das Sonnenlicht erblicken, die Seekuh und die Robben liefern das Vorbild für die Meerjungfrauen und Sirenen, das Einhorn lässt sich teilweise auf das indische Panzernashorn zurückführen.

In Trapani in Sizilien kamen im 15. Jahrhundert Knochen zutage, die die Zeitgenossen

für das Skelett des Polyphem hielten. Leider ist wenig über diese Knochen bekannt. Eine aufschlussreiche Entdeckung machte die Archäologin Dorothea Bate (1879-1951) auf Zypern. Sie entdeckte in einer Höhle Überreste eines Zwergelefanten. Diese Tiere lebten in prähistorischen Zeiten, vor zehntausenden von Jahren auf verschiedenen Mittelmeerinseln, auch auf Sizilien, die größeren hatten die Ausmaße eines Shetlandponies. Ihr Schädel war also deutlich größer als der eines Menschen. Es handelte sich um Inselformen der Elefanten, die damals auf dem Festland Europas existierten und wie andere Arten, Flusspferde, Riesenadler, Hyänen und Löwen ausstarben. Und deren Überreste finden sich eben in Höhlen; dadurch bekamen der Höhlenbär und der Höhlenlöwe ihren Namen, obwohl sie sich nicht häufiger in Höhlen aufhielten, als heutige Bären und Löwen auch. Und in Höhlen, wo in der Mythologie der Zyklop lebt, fanden sich auch die Elefantenknochen. So wie die Ureinwohner Sibiriens Mammutknochen und die Indianer Amerikas Dinosaurierskelette entdeckten und sie als Riesenmaulwürfe oder Donnerwesen ansahen, stießen vermutlich auch die alten Griechen auf Fossilien und zogen Schlüsse daraus, die andere waren als die Erkenntnisse der modernen Paläontologie.

Elefanten haben eine große Nasenöffnung in der Mitte des Schädels, genau dort, wo das Auge des Zyklopen liegt. Sie lebten auf genau den Inseln, Zypern, Malta, Kreta,wo sich die Zyklopen der griechischen Antike aufhielten. Es ist wahrscheinlich, dass die Schädel von Zwergelefanten aus Mittelmeerinseln der Mythos vom Zyklopen befruchteten.

Winterheulen

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Ulrich, Susanna und Martin, der Schotte, waren in der Stadt Thale im Ostharz angekommen.

Sie hatten das Auto vor einem einst wohl prächtigen, nun aber verfallenen, Gebäude geparkt und genossen nach einer mehrstündigen Autofahrt die Bergnatur. Am 21.Dezember lag Schnee an den Bergbächen, zwischen den Tannen leuchteten goldene Mosaike einfallender Sonnenstrahlen. Hier unten im Tal wirkte der Himmel blau, obwohl vom Berghang Nebel aufzog. Eisspitzen ragten aus schneeschweren Fichtenkronen auf den Boden in Moospolster, die den herumliegenden Wurzeln das Aussehen von Fabelwesen gaben. „Guck mal, eine Dryade“, sagte Ulrich zu seiner Freundin und zeigte auf einen Baum, aus dem eine Wölbung hervor stand wie eine Frauenbrust mit Brustwarze. „Die Baumfee hat sich versteckt, als wir das Auto geparkt haben, aber nicht schnell genug“, meinte Ulrich.

Martin und Ulrich hatten sich schon seit Stunden in die Wintersonnenwende am

Hexentanzplatz hinein fantasiert, über die schwarze Annis, die Kinder fressende Hexe der schottischen Highlands, Satanisten in Kalifornien, Goethes Faust und germanische Fruchtbarkeitsfeste geredet. „Hier wirkt es irrealer, wenn Autos fahren, als wenn hier ein Zwerg zwischen den Felsen hervortreten würde“, behauptete Ulrich. „Das sieht aus wie bei mir zu Hause in den Highlands. Schade, dass ich meine Kamera vergessen habe“, erwiderte der Schotte.

Die drei aßen Wildgulasch im Hotel „Zum Fichtenhof“, wärmten sich noch kurz am Kamin auf, beobachteten Bachforellen im Fischteich und stellten das Auto am großen Parkplatz bei der Bergseilbahn ab, mit der die Touristen im Sommer über das Flusstal der Bode hoch zum Hexentanzplatz fuhren. Sie wollten aber zu Fuß hinauf steigen. Schließlich waren sie hier, um sich in die Stimmung hineinzufühlen, in der die Menschen in alten Zeiten in der längsten Nacht des Jahres mit den Wintergeistern getanzt hatten und Odins wilde Jagd in den Raunächten über den Himmel gezogen war, die Zeit zwischen den Jahren, die Zeit der Dämonen.

Dem alten Glauben und der neuen Tourismusindustrie nach sammelten sich die Hexen in dieser Nacht oben auf dem Hexentanzplatz und flogen von dort zum Brocken, wo sie ihrem Herrn, dem Satan, den Anus küssten, Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, Hunden, Schweinen, Wölfen und anderen Tieren hatten und überhaupt wilde Orgien feierten. In Thale stellten Harzbewohner Hexenflugsalben nach Originalrezepten her. Tollkirsche, Stechapfel und Fliegenpilz waren nur einige der Substanzen, die, verbunden mit den Figuren der nächtlichen Natur, wilde Flug- und Sexfantasien entstehen ließen. Martin und Ulrich hielten sich an Schierker Feuerstein, einen Kräuterschnaps und hatten bereits die erste Flasche intus. „Ihr solltet nicht so viel saufen, bevor wir auf der Spitze sind. Unterschätzt das nicht. Die Felsen sind steil, es wird anstrengend“, sagte Susanna, die sich beim Trinken zurück hielt. „Außerdem öffnet Alkohol die Poren, bis wir oben sind, seid ihr erfroren.“

Auf dem Parkplatz liefen einige Opas und Omas herum, die alle die gleichen spitzen Hexenhüte trugen. Andere hatten sich als Teufel geschminkt, was in der Kombination mit Jeans und Blousons nicht gerade überzeugend aussah. Kinder bauten einen Schneemann, steckten ihm Scheibenwischer als Nase in den Schneekopf. „Wintersonnenwende ist hier Big Business“, sagte Ulrich. „Ein bisschen weniger kommerziell wäre es mir lieber“, erwiderte Susanna. „Die richtigen Okkultisten und Freaks suchen sich wohl ihre eigenen Stellen und nicht die Großevents“, vermutete Martin. „Warum heißt der Platz eigentlich Hexentanzplatz?“ fragte Susanna. Ulrich blätterte in seinem Reiseführer: „Goethes Walpurgispassage im Faust spielt auf der Hochebene bei Thale. Aber der Hexentanzplatz war auch eine wirkliche Kultstätte der Altsachsen. Man fand hier einen germanischen Opferstein aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert und ein Opferbeil aus Kupfer. Außerdem steht oben auf dem Berg eine Steinmauer, die ein Germanenstamm angelegt hat.“ „Der Ethnologe Hans Peter Duerr schreibt, dass die archaischen Kulturen glaubten, in zyklischen Festen die Wiedergeburt der gejagten Tiere unterstützen zu können. Die Tiere sollten in der Bergen, dem Bauch der Erde, leben und von der Erdgöttin, der alles gebärenden Tiermutter, zur Welt gebracht werden“, ergänzte Susanna. „Haben die auch Menschen geopfert?“ fragte Martin. „Die Germanen haben auf jeden Fall Menschen geopfert“, meinte Ulrich. „Die waren sowieso sehr kriegerisch, ihr höchster Gott Odin war auch Schlachtengott und ständig von zwei Wölfen, Geri und Freki, begleitet.“ „Die Wölfe haben mit kriegerisch wenig zu tun“, warf Susanna ein. „Geri steht für Vermittlung und Freki für Wachsamkeit.“

„Da oben gibt es eine Walpurgishalle mit einem einäugigen Odinskopf“, vermerkte Martin. „Odin wurde im Christentum zum wilden Jäger, der zwischen Weihnachten und Neujahr mit seinem Dämonenheer durch die Wolken zieht und geeignete Krieger sucht, die sich seiner Schar anschließen können. Da müssen wir hin zu dieser Halle, es sind Odinstage“, fügte Ulrich hinzu. „Kein Wunder, dass die Leute so etwas geglaubt haben, bei der Landschaft“, mutmaßte Martin und blickte auf die Felsformationen des Bodetals, den so genannten „deutschen Grand Canyon“. Der Granitfelsen der Roßtrappe bildete zusammen mit dem Hexentanzplatz weit über dem „Tal der engen Wege“ ein Felsentor, durch das sich der Fluss Bode in der Tiefe sein Bett zwischen kristallklarem Eis, Steinbrocken, Hornfels, Schiefer, Ramberggranit und umgestürzten Baumstämmen suchte. „Die Bode heißt nach dem Riesen Bodo. Der soll der Sage nach die schöne Brunhilde verfolgt haben. Die rettete sich mit einem Sprung ihres Pferdes über das Tal. Deshalb heißt der Felsen da drüben Roßtrappe und der Fluss Bodo. Ach so, Bodo wurde zur Strafe in einen schwarzen Hund verwandelt, der jetzt die Krone der Prinzessin bewacht. Um Mitternacht, besonders zur Walpurgis, hört der Wanderer sein Schreckensgeheul“, las Ulrich vor. „Die Zwerge und Elfen, die Kobolde und Waldgeister oder sogar der Teufel persönlich sollen nachts die Wanderer erschrecken, so dass diese vom Weg abkommen und in Felsspalten fallen oder im Fluss ertrinken“, fiel Martin ein. „So, und wenn ihr euch jetzt ständig Gespenstergeschichten erzählt, sind wir vor Anbruch der Dunkelheit nicht oben. Und wenn die Wanderer so viel saufen wie ihr, brauchen sie keinen Teufel, um in die Tiefe zu stürzen. Es friert, und bergauf wird es heute nicht mehr wärmer. Betrunken auf dem Eis ausrutschen ist kein Heldentod“, lenkte Susanna das Gespräch in eine praktische Richtung.

Die Drei wanderten los. Ulrich ließ sein Jagdmesser im Auto, weil die Security oben beim Fest es ihm bestimmt abgenommen hätte. Wild zelten durften sie im Naturschutzgebiet auch nicht. Aber einige Flaschen Köstritzer Schwarzbier und eine zweite Flasche Schierker Feuerstein durften nicht fehlen, als Hilfsmittel, um die Walpurgisstimmung von Magie, Wildnis und Erotik genießen zu können. Einige Mädchen in Hexenkostümen und Besen gingen zur Seilbahn. Martin flüsterte: „Soll ich denen sagen, dass mein Scottish Sausage, my devil´s cock, dicker ist als ihre Besenstiele und, dass sie darauf zum Brocken reiten können wie noch nie zuvor in ihrem Leben?“ „Du kannst ja sagen, du bist der Satan und hättest dich als Mensch verkleidet. Darauf fahren die Girls hier bestimmt ab“, grinste Ulrich. „Bei uns in Schottland haben sie früher auch Hexen verbrannt. Die Leute bei mir, die glauben da heute noch dran, an den handlosen Bagpiper, den Kelpie, einen Dämon, der die Wanderer in den Sumpf zieht und an solche Sachen, da oben hat jeder See seine Nessie.“ „Bei so einem Scheiterhaufen wäre es jetzt wenigstens warm“, murmelte Ulrich und hauchte auf seine vom kalten Bier erstarrten Hände.

Die Drei wanderten jetzt am Fluss Bode entlang. Die Familien mit Kindern kamen gerade zurück, viele der Jungs trugen Dreizacke aus Plastik, sehr beliebt waren auch Teufelshörner, die im Dunkeln leuchteten, Gummihexennasen und Perücken mit eisgrauen oder feuerroten Haaren.

„Das ist ja wie auf dem Schützenfest“, lästerte Susanna. „Ich dachte, hier springen Leute, die das ernst nehmen, nackt um das Feuer herum.“ „Vor allem springt hier irgendjemand im Winter nackt rum. Da musst du schon bei der Walpurgisnacht wiederkommen, am ersten Mai. Ich frier mich jetzt schon tot“, erwiderte Martin. „Guck mal, das ist das ideale Setting für einen Fantasyplot“, unterbrach Ulrich das Gespräch. Die Dämmerung hatte eingesetzt und im Zwielicht verloren die Konturen an Schärfe. Die Steilwände auf beiden Seiten der Bode hätten auch aus dem Fels geschlagene Burgen eines Zwergenvolkes sein können, die mit den Menschen im Tal in Konflikt lagen. Durch Birkenblätter drangen Blaulichtsprenkel der untergehenden Sonne wie auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich auf den Waldboden und funkelten hier und da auf dem Moos und den mit Eis überzogenen Steinen.

Ein Eisentor verschloss einen Höhlenausgang, eine Informationstafel verwies darauf, dass hier Fledermäuse lebten. „Krak, Krak, Krak,“ tönte es über ihnen. „Susanna, da, ein Kolkrabe“, rief Ulrich. „Wie, keine Krähe?“ „Nein, er ist viel größer und hat einen kürzeren Schwanz. Außerdem ist seine Stimme tiefer.“ „Hugin and Munin“, erläuterte Martin. „They are the ravens of Odin, wisdom and cleverness. Maybe the wild hunt is beginning now, maybe Odin will take the horniest small witches from the Hexentanzplatz.” Die Drei wanderten bis zur Jungfernbrücke, überquerten die Bode, deren Wasser sich mühsam durch das Eis brach

und stiegen den Bergweg zum Hexentanzplatz hoch.

„Wird schon steiler“, stöhnte Ulrich. „Bei uns in Hannover bin ich Berge nicht gewohnt.“ „Wir in Heidelberg sind damit aufgewachsen“, lächelte Susanna. „Jede Woche so eine Tour und deine Kondition ist wieder in Ordnung. Du musst kleine Schritte machen. Könnt ihr die Flaschen nicht oben austrinken?“ Martin und Ulrich hatten die zweite Flasche Feuerstein schon halb geleert und Ulrich lallte bereits.

„Wir hätten früher losgehen sollen“, meinte Susanna. „Jetzt geht es noch gerade, aber in einer halben Stunde ist es dunkel, und dann wird es hier gefährlich.“ „Dann kommen die Werwölfe und Teufel, die Zwerge krabbeln aus ihren Höhlen und der schwarze Hund lähmt die Wanderer mit seinem Todesgeheul. Kein Wunder, dass die Romantiker hier ihre Impressionen bekamen.“ „Man merkt, dass du aus dem Flachland kommst. Wir Bergbewohner haben weniger Sinn für solche schaurig schönen Fantasien, sondern achten auf reale Gefahren. Und deswegen sollten wir schneller gehen und hier nicht herumträumen. Wenn es dunkel ist, kannst du nämlich die Luft und die Erde farblich nicht mehr unterscheiden“, warnte Susanna.

„Warum, der Schnee leuchtet doch weiß“, frotzelte Ulrich. „Ja, und wenn er im Sturm durch die Luft weht, tut er das auch“, zischte Susanna.

Martin war der Bergspitze wesentlich näher gekommen und wartete immer wieder auf seine Freunde. Für den Highländer Martin war dies ein Spaziergang, und auch Susanna sah den Weg nicht als wirkliche Bergtour an. Ulrich aber war abgefallen, schwitzte und ächzte unter der Last seines Übergewichts. Er hatte an sich eine gute Kondition, war aber das Überwinden von Höhenunterschieden nicht gewohnt. Susanna wartete an einer Wegschlaufe. „Lass uns eine Pause machen“, japste Ulrich. „Wir machen eine Pause, wenn wir oben sind“, antwortete Susanna und tastete sich vorsichtig über die eisglatten kalten Steine. Zwei Jugendliche kamen ihnen entgegen. „Viel Spaß“, meinte der Eine. „Da vorne liegt ein Baum auf dem Weg, und es wird steil. Der fest getretene Schnee ist eine Rutschbahn. Runter geht es schnell.“

Susanna und Ulrich marschierten weiter, Ulrich benutzte die zusammengerollte Matte als Krücke. „Ich kann die Steine noch erkennen, aber die Erde löst sich fast auf. Ist hier nicht irgendwo ein Geländer?“ Immer wieder rutschte er auf dem Eis aus oder trat in ein Schneeloch über einem Bachlauf, stolperte über eine Wurzel, die wie von einem weißen Leichentuch bedeckt lag. „Nein Schatz“, sagte Susanna. „Zurück können wir nicht mehr.“ „Hätten wir wenigstens Vollmond“, seufzte Ulrich, denn die Mondsichel lag wie eine hauchdünne Messingscheibe über den Fichten und strahlte kaum Licht ab. Dann stießen sie an den Baum. Er lag quer über dem Weg, Schnee bedeckte ihn, das Eis verschloss die feinen Zweige mit der Erde und den Steinen - und sie mussten durch Steingeröll um ihn herum krabbeln. Ulrich kam außer Atem und keuchte, lehnte sich mit dem Kopf an den Stamm und verschnaufte. Der Frost pulsierte in seinen Fingerkuppen. Er trank einen Schluck Feuerstein, rauchte eine Zigarette und zog sich an den Felsbrocken entlang nach oben. „Wildnis ist ja gut und schön, wenn man ihr nicht ausgeliefert ist“, nuschelte Ulrich.

„Susanna“, rief er, aber er hörte keine Antwort. „Susanna, Martin?“ Nichts. Vor ihm schien der Weg zu liegen, aber er konnte den Weg kaum von den Geröllhaufen und den Schneewehen unterscheiden und Nebel zog auf, waberte wie eine Gruppe durchscheinender Geister zwischen den Birken. Der im weiße Frost erstarrte Granit erinnerte ihn an einen Berg voller riesiger Totenschädel, die im Kleid des Winters verhüllten Zweige schienen ihm Rippenknochen zu sein, Ellenbogen und Schulterblätter, ausgebleicht, als hätte ein bösartiger Wintergott sie zum Opfer genommen, ein Gott, dem es nach menschlichem Leben dürstete, und der mit seiner Kälte die Lebenskraft entzog.

„Martin“, rief er. Dann hörte er ein Heulen wie von einem Wolf, gefolgt von „Ulrich, Ulrich, hier oben.“ „Heute ist Walpurgis“, atmete Ulrich auf, froh, dass er seinen Freund nicht verloren hatte. Dann spitzte er die Lippen und heulte zurück. „Uuuuuh, Uuuuuh.“ Und wieder: „Ulrich, Ulrich, Ulrich. Uuuuuuh.“ Ulrich hastete, seine Erschöpfung schien vergessen, jetzt hörte er die Lautsprecheransagen einer Mittelalterband, das war der Hexentanzplatz, die härteste Wegstrecke lag wohl hinter ihm. „Uuuuuh, Ulrich“, heulte Martin wieder.

Lauter dröhnte es jetzt von dort, wo anscheinend das Festival stattfand, auf dem Gipfel im Osten. Doch dann, was war das? „Uuuuuh, Uuuuuh“, heulte es aus verschiedenen Kehlen aus dem Westen des Gipfels. Das war nicht Martin, und es war auch nicht der Wind, der direkt aus der Arktis zu blasen schien, der Wind, der stärker den Berg hinab trieb und Firnkristalle in sich trug. Dieses Heulen klang genau so real wie das von Martin. „Wölfe“, dachte Ulrich automatisch und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Dann beruhigte er sich: „Erstens gibt es seit dem 19. Jahrhundert keine Wölfe mehr im Harz, zweitens greifen Wölfe keine Menschen an.“ Das Heulen hielt an, und es handelte sich eindeutig um mehrere Heuler. „Vielleicht sind das die richtigen Neuheiden und Neuhexen, die dort die Mutter der Tiere verehren und Odin Opfer bringen. Ist Odin auch der Gott des Winters?

Da sollten wir hingehen“, murmelte er und zog sich weiter an den Steinen entlang. Er orientierte sich jetzt an den Baumstämmen, denn außer den hellen Birken und den im Mondlicht silbern leuchtenden Steinen konnte er nichts mehr erkennen. Der Bach, in dem seine Füße steckten, das hätte auch eine Nebelschwade sein können und der Granitblock, der quer über dem Weg lag, ein Luftloch, in dem es zweihundert Meter bergab ging.

Er zog sich höher, von Baum zu Baum, und wieder hörte er das Heulen. Er hielt inne. „Das sind keine Menschen“, wisperte Ulrich. „Kein Mensch kann so perfekt das Heulen von Wölfen nachahmen. Hat vielleicht jemand heulende Wölfe aufgenommen und spielt das Tonband ab?“ Er verwarf den Gedanken sofort. Das hätte bedeutet, dass oben jemand saß, der wartete, bis Martin oder irgendwer anders anfing zu heulen. „So ein Quatsch“, schalt Ulrich sich selbst. „Vielleicht gibt es hier wieder Wölfe und keiner hat sie vorher gesehen“, flüsterte er und schüttelte erneut den Kopf über seine Unvernunft. „Die laufen dann bestimmt zum größten Event im Harz und setzen sich daneben.“ Er drehte sich eine Zigarette, zündete sie an und nahm einen tiefen Schluck aus der Feuersteinflasche, sah sich um. Die Natur regte zu mystischen Fantasien an. Der Wind strich durch die Birkenzweige und brachte die gefrorenen Hölzer zum Klirren, als würden die Geister des Winters zum Tanzplatz ziehen, um die Hexen zu begrüßen, die Schatten zwischen den Baumwurzeln erweckten den Anschein dutzender Höhleneingänge zu den unterirdischen Städten der Erdgnome. Ein Ahorn war um einen Stein herum gewachsen, als sei das Holz im Eis erstarrte Lava. Seine Äste streckten sich in die Nachtluft wie Knochenfinger eines Nachtfestes. Dann ertönte erneut das Heulen: „Uuuuuuh“. Es vermischte sich mit dem Pfeifen des Windes zwischen Tannenzweigen, als käme ein fliegendes Heer vom Gipfel herab geweht zu ihm, als hätte Odin seine Neujahrswölfe ausgesandt, um Beute zu reißen, und er, Ulrich, war die Beute. „Keine Zeit zu träumen“, sprach Ulrich zu sich. „ich muss zum Tanzplatz, Martin und Susanna finden:“

Er gestand sich ein, dass er Angst hatte, unvernünftige Angst. „Ich bin ein aufgeklärter Mensch“, murmelte Ulrich. „Es gibt keine Elfen und keine Hexen und keinen wilden Jäger. Und es gibt im Harz auch keine Wölfe. Vielleicht halten da oben Gastwirte Hunde. Oder die veranstalten Schlittenrennen mit Huskies. Und die drehen durch wegen dem Lärm auf dem Festival.“ Er war dem Heulen näher gekommen, nah an der Hochebene und der Weg hatte jetzt ein Geländer, an dem er sich festhielt. Ihm schien jetzt, als würde er auf das Heulen zu gehen.

„Was ist, wenn die Hunde nicht im Zwinger sind“, fröstelte es ihn. „Und wenn sie sich aufregen und im Wald herum laufen, Rottweiler oder Dobermänner?“ Und hatte er nicht eben einen Schatten gesehen, der sich bewegte? Dort oben, zwischen dem Asthaufen? Wäre es bloß hell gewesen. In solch einer Harznacht, wenn der Wind unter die Lederjacke kroch und die vom Bier nassen Finger erstarrten, wenn der Wind zwischen erfrorenen Tannennadeln knisterte, schien einem Ortsfremden wie ihm wohl alles verzaubert? „Wie soll ich denn Susanna erklären, dass ich Angst vor ein paar Hunden habe, als erwachsener Mann, ist das peinlich.“ Aber er hatte Angst, das musste er sich eingestehen. Natürlich wusste sein Kopf, dass der Schatten kein Hund gewesen war, sein Bauch sagte ihm anderes. Er sagte: „Flieh, solange du noch Zeit hast. Such dir einen Baum und klettere hinauf, da können die Hunde nicht folgen.“ „Vielleicht sind das ja die Hunde Odins“, machte er sich über seine Angst lustig, aber es reichte nicht zur Beruhigung. Er dachte an die wilde Jagd und an den schwarzen Hund, in den sich der Riese Bodo verwandelt hatte. „Ein schwarzer Hund, ich höre Gespenster. Wahrscheinlich habe ich nur mit offenen Augen geträumt. Hier braucht man keine Tollkirsche, um Halluzinationen zu bekommen“, rationalisierte er. Aber es heulte wieder. Ein lang gezogener Laut von mehreren Wesen. „Vielleicht sind es Huskies. Die bellen nicht, sondern heulen. Aber sie greifen keine Menschen an. Mastinos oder Rottweiler heulen nicht, die bellen mit tiefer Stimme.“ Aber es hörte sich an wie Wölfe. „Ich spinne rum wie irgendein Hinterwäldler aus Martins Dorf, als wäre ich ein Redneck, der glaubt, die Todesfee Banshee würde kreischen, wenn der Wind weht. Als ob hier Jack Frost umhergeht, der Dämon der Kälte. Oder die Gespenster derjenigen, die hier erfroren sind. Wofür habe ich eigentlich studiert?“

Dann machte er sich klar, dass er nicht irre wurde und auch nicht zuviel getrunken hatte. Denn das Heulen war eine Realität, auch wenn Susanna ihm das bestimmt nicht glauben würde. Das Heulen war genau so wirklich wie die Kälte unter seiner Lederjacke und die Seitenstiche, genau so wirklich wie sein weißer Atem in der Frostnacht. Er nahm all seinen Mut zusammen und folgte dem Geländer. Weit vorn sah er Licht und konnte Gesangsfetzen hören, dazu eine elektronisch verstärkte Fidel. „Gleich bin ich da“, schnaufte er.

Dann durchdrang es ihn, als ob jemand mit einem Stück Kreide über eine Schultafel kratzte, als piekte jemand mit Nadeln in seine Ohrmuschel. Bilder von Tieraugen, die rot im Dunkeln leuchteten, verflossen mit Wagen zwischen Wolkenrissen, dabei pochte die Fidel wilder und wilder in seinen Ohren. Er verspürte einen Druck auf seinem Kopf wie Höhentaumel. Denn es heulte wieder, aber diesmal so, dass seine Knochen vibrierten und seine Knie weich wurden, aneinander klapperten. Die Haare auf seinen Armen sträubten sich, als wäre er ein Tier, dem Gefahr droht, als wäre er auf seine Urinstinkte zurück geworfen, wie ein früher Mensch in einem Wald, in dem es Tiere gab, die ihn fressen konnten. War er das selbst, oder waren das seine Beine, die ihn antrieben, den Weg zurück, weg von dem, was im Dunkeln auf ihn lauerte, weg von den Bestien, die ihn jagten. Er stolperte, die Flasche zersplitterte, dann richtete er sich wieder auf und lief, rannte, stolperte, lief und rannte, prallte mit dem Kopf gegen einen Felsüberhang. Das Heulen wurde ein wenig leiser, aber weiter laufen, rief es ihm zu, weiter, weiter, weiter. Da, ein Stück Erde für seine Füße, wie schnell er doch springen konnte, Erde, was für ein großer Sprung, der Wind rauschte durch seine Haare, es war, als würde er fliegen, doch warum lagen seine Arme nicht auf den Steinen, warum strampelten seine Füße in der Leere. War das der Flug der Hexen? War das eine Erfahrung der Wintersonnenwende.

Die Bergluft drang kalt und angenehm in seine Lungen, dann stoppte sein Sprung und es war, als hätte ein Zwerg eine Granittür vor ihm zugeschlagen. Ein Schmerz, als habe ein Germane mit einem Schmiedehammer auf ihn eingeschlagen, durchzog seine Schulter, seinen Rücken, seine Wirbelsäule. In seinen Schläfen pochte es von innen wie Gnome, die mit Spitzhacken das Erz aus dem Innern des Berges gewannen. „Susanna, Martin“, brüllte er. „Helft mir, helft mir, helft mir.“ Und immer noch hörte er das Heulen, das mit dem Wind in das Tal pfiff. Was wäre, wenn die alten Geschichten wahr wären und wirklich Geisterwesen in der Nacht der Nächte umhergingen? Warum hatte er bloß alles für lächerlich gehalten, was sich die Bergbauern erzählten? Wer hatte ihn bloß angegriffen? Er hörte ein Rauschen in seinen Ohren und Nachtgeschöpfe schienen ihn einzuhüllen und in das Reich der Mystik, in die Wunderwelt des Traumes zu führen. Dann das Leuchten. Waren das Irrlichter? Sie riefen seinen Namen. Nein, sie durften ihn nicht holen, nein, nein, nein. Er würde sich verteidigen. Die Lichter kamen näher und näher, sein Körper bäumte sich auf vor Schmerz, als er nach dem ersten trat. Dann tanzten Funken vor seinen Augen, dann wurde es schwarz und er sah Odin, den Göttervater auf einem schwarzen Hund durch eine mondlose Nacht reiten.

„Ulrich, Ulrich“, hörte er es wie aus weiter Ferne. Er versuchte, die Augen zu öffnen. Es war weiß wie ein sonnenloses Licht in den Höhlen der Zwerge. „Ulrich, Ulrich.“ Er öffnete die Augen weiter. „Na, wachst du auf, Bloody Wanker, du Wilder.“ Das waren die Gesichter von Martin und Susanna. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst auf den Weg achten“, flüsterte Susanna ihm zu. „Da, da waren Hunde und Wölfe und Lichter, die, die haben geheult, sie wollten mich holen.“ „Die Feuerwehrleute wollten dich holen. Jemand hat ihnen Bescheid gesagt, weil du um Hilfe geschrieen hast. Du hast einem von ihnen in den Bauch getreten.“ „Aber, aber die Wölfe.“ „Auf dem Hexentanzplatz befindet sich ein Tierpark. Das Gehege der Grauwölfe grenzt direkt an den Bergweg. Sie haben uns geantwortet. Susanna und ich waren gestern Morgen im Park, als du noch in Narkose lagst. Es sind vier Wölfe. Ich habe noch ein paar Mal geheult, aber sie reagierten nicht. Wahrscheinlich haben sie gemerkt, dass ich nur so ein blöder Tierparkbesucher bin und kein Wolf“, grinste Martin. „Du hast Glück gehabt, Schatz. Du bist anscheinend vom Weg abgekommen und einen Geröllhang hinunter gestürzt. Aber drei Meter abschüssig vom Weg bist du gegen eine Schieferplatte geknallt. Die hat dich abgefangen, dabei hast du dir die Schulter und das Schlüsselbein gebrochen. Aber du hättest tot sein können. Darunter geht es hunderte von Metern in die Tiefe. Weihnachten musst du im Krankenhaus bleiben.“ „Oh Gott, was für ein Abenteuer“, murmelte Ulrich, blickte in die Zwergenkristalle, die sich in die Neonröhren eines Krankenhauszimmers verwandelt hatten, betastete seinen Gips und wusste, dass er diese

Wintersonnenwende nicht vergessen würde.

Zombies, Satyre und Drachen

So, ich habe meinen alten Artikel über den Voodoo auf der Sopos ausgegraben und auf die Website unter allgemeine Geschichte gestellt. Vorher habe ich einen Text über die Tiere, die Vorbilder für den Drachenmythos waren, auf die Reise geschickt und an meinem Beitrag über Dionysos und die Satyre gesessen.  Jetzt geht es in das Historische Museum hannover, wo die Vorpremiere zum Haarmann-Film von Nils Loof läuft, bei der ich ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden habe.

Vampirvorstellungen

Ich spiele mit dem Gedanken, eine Dokumentation über unbekanntere Aspekte des Vampirglaubens umzusetzen. Noch nie gab es so viel Vampirfiktion wie heute; das Thema schreit geradezu nach einer seriösen kulturhistorischen Aufarbeitung. Wäre schön, wenn daraus etwas wird.

Werewolf-Documentary gelaufen

Unsere Werewolf-Documentary “Bad Moon Rising” für den History Channel ist in den USA vor zwei Wochen gelaufen. Im Januar bekomme ich die DVD und bin sehr gespannt. Hoffentlich schaffe ich es mal endlich, endlich, endlich, meine Magisterarbeit und die immer größere werdende Fülle an Material über den Werwolfglauben in eine umfassende Buchform zu bringen. Leider beschäftigen mich etliche andere Projekte. Wir haben gerade einen Power Point Vortrag über unsere Mittelosteuropa-Reise fertig gestellt. Da könnte auch ein eigenes Buch draus werden. Wenn man bloß fünf Leben hätte.

Vortrag: Werwölfe - Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch

„Wer immer gegen Monster kämpft, sollte darauf achten, nicht selbst zum Monster zu werden, denn wann immer du in einen Abgrund blickst, blickt auch der Abgrund in dich hinein.“ Friedrich Nietzsche

Werwölfe sind bekannt als Menschen, die sich bei Vollmond in rasende Bestien verwandeln. Nur wenigen ist bekannt, dass der Menschwolf keine Erfindung der Literatur ist. Der Werwolf ist vielmehr eine Figur der Mythengeschichte über Jahrtausende, die bis in die Wurzeln unserer Psyche reicht, in die Zeit als der Wolf allgegenwärtiger Nachbar war. So kannten die alteuropäischen Kulturen die Verwandlung von Menschen in Tiere; die Seele von Schamanen bereiste in Wolfgestalt die unsichtbare Welt; Krieger hüllten sich in Wolfspelze, um die Kraft der verehrten Wölfe anzunehmen. Am Umgang mit dem Wolf lässt sich das Verhältnis zur Natur erkennen. Der als Gott verehrte “Krieger” der Jägernomaden, die Wölfin als Symbol mütterlicher Aufopferung wurde zum Feind der Ackerbauern und des Adels. Die Sage vom Wolfsmensch erzählt uns auch davon, dass der Wald einmal auch unser Zuhause war.

Das Interesse in der Öffentlichkeit sehe ich nach der Erfahrung diverser Vorträge, Fernsehdokumentationen, Artikeln, Radiosendungen etc. als groß an – insbesondere seit der Wiederkehr des Wolfes nach Deutschland.

Als Format sind sowohl Vorträge, als auch Projekte, Seminare, Blockseminare, Lehrgänge und Workshops möglich, sowie Dokumentationen für Magazine, TV, Radio, Print, Online etc.

Themen, über die ich das Publikum informieren könnte wären unter anderem

Wolf und Mensch

Verwandlungen in Tiere und Tote

Werwölfe im germanischen Altertum

Vampir- und Werwolfmythen

Werwolfsvorstellungen im Mittelalter

Werwölfe im Hexenprozess

Heutige Werwolfmythen

Auf eine bejahende Antwort ihrerseits freue ich mich und bin für den entsprechenden Rahmen offen, herzliche Grüße, Dr. Utz Anhalt

Seminarangebot: Zur Genese und Geltung des bürgerlichen Naturverständnisses

Bei Interesse melden Sie sich bitte bei mir:

In diesem Seminar soll herausgearbeitet werden, warum sich das bürgerliche Naturverständnis in unterschiedliche Richtungen entwickelte - warum verherrlichte einerseits die Romantik die Natur ebenso wie Rousseau, warum ging andererseits die Entwicklung des Bürgertums mit der bis dahin größten Naturzerstörung der Geschichte einher? Bürgerliche verachteten die Natur und glorifizierten die Industrie. Wie konstruierte die Moderne Natur, wie Gesellschaft?

Zur Vorbereitung für das Seminar empfehlen wir: Jutta Buchner-Fuhs: Kultur mit Tieren. Zur Formierung des bürgerlichen Tierverständnisses im 19. Jahrhundert. Münster / Fuhs / New York / München / Berlin 1996

Stichworte: Buffon, Voltaire, Rousseau, Diderot, Schelling, Romantik, Naturphilosophie, Naturtheologie, Schopenhauer, Kant, Darwin, Pietismus, Haeckel, Rassismus aus der Biologie vermeintlich abgeleitete Ein- und Ausgrenzung, Monismus, Exotismus, Begriffe des Anderen: Barbar, Heide, Exot, Marx, Bakunin, Adorno, Picq,

Aufgestanden

Es ist jetzt kurz nach 9.00. Ich hatte wilde Träume, wahrscheinlich, weil ich gestern nacht noch Ideen für fantastische Stories durchgegangen bin, die mir in den letzten Jahren in den Sinn kamen und zusätzlich noch Vampirfeuer von David Wellington weitergelesen habe. Die Geschichten in den Vampiranthologien von der Edition Leserunde sind zwar zum Großteil okay, erinnern aber doch stark an Vorbilder wie Anne Rice, Hamilton etc. Wer den Gegenpol zu Twillight lesen will, dem ist Wellington außerordentlich zu empfehlen. Das hat mit Pubertätsfantasien, einem irgendwie zwischen Identitäten zu stehen, nichts zu tun - die Vampire sind Monster und keine Monster, die verzweifelt menschlich bleiben wollen.  Ich würde gerne mal wieder mein Kurzgeschichtenseminar halten, aber wie es aussieht, liegt der Schwerpunkt erst einmal auf Regionalgeschichte.

Neue Storyideen:

Ein Mann und seine Freundin gehen spazieren; er hält ihr eine Suada darüber, dass er die psychologischen Projektionstheorien lächerlich findet. Irgendwann löst sie sich auf mit den Worten: Ich bin deine Projektion.

Ein Zoologe züchtet den aussterbenden südchinesischen Tiger in seiner Station. Ohne sein Wissen baut seine Assistentin Videokameras in die Analge ein und sieht ihn darauf in flagranti mit einer Tigerin. Er gesteht, dass er ein Wertiger ist - die Spezies, die er vor dem Ausrotten bewahrt, ist seine eigene.

Notizen 19.11

Gehen verdammt viele Gedanken durch den Kopf, neu-alte Ideen für Dark Fantasy-Geschichten, ein paar sind umgeschrieben und an Wettbewerbe geschickt. Dachte gerade an jemand, der davon träumt, von einer Sirene / loreley / Rusalkie / Kelpie -wie auch immer- in die Tiefe gezogen zu werden und an einem Lungenödem stirbt, vielleicht reitet er und träumt nachts vom Kelpie in Pferdegestalt, tags erzählt ihm ein obskurer Schotte davon. Die Erklärung, falls überhaupt, wäre synchronistisch, im Jungschen Sinne. Habe mich mit meinem Vater im Krankenhaus über den Vergleich zwischen Cormack Mc Carthy und Moby Dick unterhalten. Schreib wohl die nächsten Tage einen Essay darüber. Werw eiß schon, dass Moby Dick eine der besten Kritiken am Kapitalismus ist. Nur der Wilde Quiquog erkennt den Untergang, kann ihn aber nicht mehr aufhalten, Ismail, das Bindeglied, überlebt in Quiquogs Sarg, Moby Dick ist die Kreatur, die sich gegen die Vernichtung sträubt. Alles, was Ahab tut, ist rational, nur das Ziel nicht - es ist der Wahnsinn. Und alle machen mit. Wer den weißen Wal sieht, erhält eine Goldmünze. Ahab verwickelt sich in das Seil seiner eigenen Harpune - denn der weiße Wal kann nicht sterben, wer die Natur vernichtet, vernichtet sich selbst.

Mir ist mal wieder aufgefallen, dass der Alltag in einem Krankenhaus für die Details einer Dark Fantasy oder Horrorgeschichte viel mehr hergibt als übertriebene “sie trieften vor Blut-Szenen” oder so. Ich glaub, ich les einfach mal wieder ein paar Krankenhausberichte - ein wenig in einen Plot einbasteln, super. Für eine Weihnachtsgeschichte wird es auch Zeit, mal gucken. Morgen geht es wieder nach Hannover in den Zoo zu den beiden kleinen Leoparden.

Yeti - Kam der Schneemensch aus dem Regenwald?

Yeti - Kam der Schneemensch aus dem Regenwald?

Mythen ranken sich um den Yeti, den Schneemensch des Himalaya. Forscher untersuchen Riesenspuren in der Form von Menschenfüßen. Der Bergsteiger Reinhold Messner meinte, dass es sich um Tibetbären handle. Andere sehen im Yeti ein Fabelwesen, eine Projektion menschlicher Ängste vor der Einsamkeit, Kryptozoologen suchen nach einer realen Kreatur. Einige Forscher vermuten, dass der prähistorische Gigantopithecus, ein Menschenaffe von enormen Ausmaßen, überlebt hat und als Yeti umhergeht.

Der erste Erklärungsstrang geht davon aus, dass es sich beim Yeti und anderen Wesen wie dem russischen Almas oder dem amerikanischen Bigfoot um Relikthominiden handelt, um Spezies, die weiter entwickelt sind als die Menschenaffen und ein eigener Zweig der Evolution. Die zweite Vermutung ist psychologischer Natur: Der Affenmensch symbolisiert die Grenze zwischen Natur und Kultur im Menschen und ist deswegen kulturübergreifend als Symbol verbreitet. Die dritte These, und um die geht es hier, sieht reale Tiere als Vorbild für den Mythos vom Affenmenschen.

Ein „Mensch“ nicht des Schnees, sondern des Waldes ist bekannt. Der Waldmensch, malayisch Orang-Utan. Wir kennen ihn heute als intelligenten Menschenaffen. Die Europäer des 19. Jahrhunderts waren anderer Meinung. Satyr nannte ein Wanderzoo einen der ersten in England ausgestellten Orang-Utans; “ein furchtbares Waldgespenst” schrieb 1893 ein gewisser Volkmar Müller, als sähe er ein Fabelwesen, keinen Affen. Ein Zusammenhang zwischen Yeti und Orang-Utan erscheint heute absurd, der eine lebt in der Kälte des Himalaya, der andere in der Regenwaldhitze Sumatras und Borneos. In historischer Zeit schwangen sich Orang-Utans aber durch die Baumwipfel des indochinesischen Festlandes und Südchinas. Auch die Menschen in Vietnam und Kambodscha kennen ihre “Affenmenschen.”, den ngui rung. Die Nordgrenze des historischen Verbreitungsgebietes des Orang-Utans ist von der Südgrenze des Yeti-Mythos, Bhutan, für Asien kulturell und geografisch einen Katzensprung entfernt. Tibet und Bhutan, die Schwerpunkte der Yeti-Sichtungen liegen an der Schnittmenge zwischen China und Indien. Die Mythologie Tibets kennt weiße Löwen, die die Schneestürme begleiten sollen. Löwen gab es im Himalaya eben sowenig wie Orang-Utans, im indischen Tiefland sehr wohl. Warum sollte eine chinesische Tierart nicht genauso in die tibetische Mythologie eingegangen sein wie der indische Löwe. Der Buddhismus und mit ihm der tibetische Lamaismus drang in der Zeit des Mittelalters von Indien nach China ein; Träger der Überlieferung in der Feudalgesellschaft Tibets waren die Lamas. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung sind Analphabeten - bis heute.

Symbolische Aspekte des Yeti

Yetis und andere „wilde Menschen“ personifizieren die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur – so manche Psychologen. Der Affenmensch der Wildnis ist so der Aspekt menschlicher Triebhaftigkeit, der Teil seines Unbewussten, der das Tierische im Menschen zur Geltung bringt. Auch das Mittelalter Europas ist reich an „wilden Männern“. Diese leben zum Beispiel mit dem Einhorn zusammen oder entführen Menschenfrauen. Sie erinnern an die Silene, die Faune und Satyrn der Mythologie Griechenlands, an die halbmenschlichen Wesen, die im Gefolge der Naturgötter umherstreifen. Diese, aber auch die wilden Männer der Alpen sollten Frauen nachstellen und sich berauschen. Man kann diese Sichtungen als Halluzinationen erklären, hervorgerufen durch die Einsamkeit der Wildnis des Himalaya, Höhenluft oder Schneetreiben, oder als Spinnerei und Bergsteigergarn. Der Theorie des Psychologen C.G. Jungs zufolge handelt es sich dabei um psychische Archetypen der Ungezähmtheit.

Mit diesem Modell könnte man aber auch Tigersichtungen als Ausdruck von Archetypen erklären – der Tiger gilt in der Traumsymbolik als Triebkraft, die außer Kontrolle gerät. Der menschliche Animismus, die Vermenschlichung der Naturkräfte ist weit verbreitet. Der Yeti könnte eine Art Wendigo sein, so der Name des indianischen Wintergeistes. Er könnte ein Symbol für die Gebirgsregion sein wie Jaguar und Schlange bei Regenwaldindianern Wald und Fluss symbolisieren. Tiger, Jaguare und Schlangen gibt es aber als Tiere aus Fleisch und Blut.

Über Menschen, die wirklich etwas sahen, sagt also der psychische Archetyp wenig aus. Einige „wilde Menschen“ stellten sich als real heraus. Berichte von behaarten Monstermenschen im Virunga-Gebirge entpuppten sich als Berg-Gorillas; der Orang-Utan heißt eben auf malayisch Waldmensch. Hannos Bruder Hannibal beschrieb Gorillas in der ersten überlieferten Darstellung als eine Art wilde Menschen. Noch Biologen des 20. Jahrhunderts bezeichneten Schimpansen und Orang-Utans als Satyre und Pane –nach Halbmenschen der Antike.

Heutige Yetisichtungen

Die Orang-Utan Theorie hat eine Schwachstelle. Heute und in jüngster Vergangenheit berichten zahllose Augenzeugen von Yetisichtungen. Auch wenn man die Erfindungen berücksichtigt, bleiben immer noch diejenigen über, die etwas gesehen haben. Dieses Etwas ist in den heutigen Kälteregionen des Himalaya kein Orang-Utan. Für die Theorie eines kälteangepassten Menschenaffen fehlen Anhaltspunkte; im Prinzip könnte es eine solche Form zwar geben, doch halte ich dies für sehr unwahrscheinlich.[1]

Reinhold Messner stellte die These auf, dass es sich bei dem Yeti um den tibetischen Braunbären handelt, eine Art „Meister Petz“ mit menschlichen Charakterzügen. Die Fähigkeit des Bären, sich auf seine Hinterbeine aufzustellen, sein Sohlengang, sein rundes Gesicht wirken anthropomorph – menschenförmig. Zu der Bärentheorie passen Fußspuren im Schnee. Diese Spuren können sich verformen und vergrößern, wenn der Schnee taut. Auch Bären hinterlassen Sohlenabdrücke wie Menschen oder Menschenaffen. Der Bezwinger des Mount Everest, Edmund Hillary, untersuchte 1961 Yeti-Spuren und kam zu dem Ergebnis, dass es sich um gewöhnliche Tierspuren handle. Ein „Yeti-Skalp“ in einem Kloster entpuppte sich als Fell eines Serau, eines Verwandten der Gämse.

Fragen bleiben offen. Können die Sherpas, die die Fauna Tibets kennen, einen Bären wirklich nicht von einem „Affenmenschen“ unterscheiden? Ist vom Kaukasus bis in die Mongolei der Bär vermenschlicht worden. Unwahrscheinlich wäre das nicht: In den nordischen Mythen konnten Krieger die Kraft von Bären annehmen – sie waren Berserker. In Europa gibt es zahlreiche Geschichten von „Bärensöhnen“. Das waren Menschen, die unter Bären aufwuchsen und besondere Kräfte erlangten. Etwas sträubt sich gegen die „Meister Petz“- Theorie. Die Yetis, Almas, die Bigfoots und Sasquatch sind als eigenständige Figuren überliefert, in ganz unterschiedlichen Kulturen. Es gibt im Verbreitungsgebiet der Affenmensch-Erzählungen Märchen über Bären.

Auch andere Affen kämen als Vorbild für den Yeti-Mythos in Frage. So kommt der erst 2004 beschriebene Arunachal-Makak an den Hängen des Himalaya vor. Es handelt sich um eine der größten Makakenarten mit langem Fell von dunkelbrauner Farbe. Zwar bewegt er sich auf vier Beinen, beim Sitzen oder auf weite Entfernung hat er durchaus etwas dem Menschen ähnliches. Arunachalmakaken sind sind nur aus einem kleinen Gebiet im Nordosten Indiens bekannt, aus Wäldern zwischen 2000 und 3500 Metern Seehöhe. Sie sind tagaktiv und halten sich vorwiegend am Boden auf. In der Schneeregion des Gebirges lebt er nicht, aber doch nahe daran. Seine engsten Verwandten, der Assam- und der Tibetmakak leben ebenfalls im Einzugsgebiet des Yeti-Mythos.

Ausblick

Der kulturhistorische Hintergrund gibt Indizien für die Yeti-Figur. Eine hinreichende Erklärung bietet er nicht. Erzählungen über affenmenschliche Wesen existieren vom Kaukasus bis nach Sibirien und entlang der Gebirgsketten in Kanada und den USA. Almas, Mihgyur, Almasty, Bigfoot und Sasquatch sind nur einige der Bezeichnungen für diese Wesen. Man könnte mit Messner argumentieren, dass überall in diesem Gebiet der Braunbär vorkommt, auch andere Tiere kommen als Vorbild in Frage. Dabei ist die Vorstellung absurd, dass jemand einfach etwas sieht und dass daraus direkt ein Yeti entsteht. Erst innerhalb der jeweiligen kulturellen Tradition und in Erzählungen entwickelt sich aus Tierbeobachtungen und den Innenbildern der Psyche  „eigenständige“ Mythenfigur. Der Yeti ist vermutlich ein halbreales Mischwesen, in dem Beobachtungen einer oder verschiedener Tierarten in den Erzählungen zu einer neuen Kreatur verschmolzen.


[1] Neben unzähligen Spinnereien, Spekulationen und Fantasievorstellungen gibt es auch seriöse Untersuchungen, die die Existenz von Relikthominiden für real halten. Hier sind vor allem die Studien von sowjetischen Wissenschaftlern zu nennen, die Dimitrij Bajanow zusammenfasste. Dimitri Bajanow: Auf den Spuren des Schneemenschen, in der deutschen Übersetzung Stuttgart 1998. Die sowjetischen Wissenschaftler sind auch deswegen interessant, weil sie strikt naturwissenschaftlich positivistisch Mythenwesen der Folklore wie die Rusalkies als biologische Spezies interpretieren, ein interessanter Ansatz, der aber Schwachstellen hat: So fließen in dem Glauben an den Sumpfmenschen Louisianas indianische und europäische Fabelwesen zusammen.

Historiker, Dozent, Publizist